Aus der Feder des Pastors

Und Jesus kam heraus und trug die Dornenkrone und das Purpurgewand. Und Pilatus spricht zu ihnen: Seht, welch ein Mensch! Joh 19,5

Während unserer Aufenthaltszeit in Amerika lebte ich mit meiner Familie im Bundesstaat Colorado, hoch oben in den Rocky Mountains. In den Bergen dort gibt es erstaunlich tiefe Schluchten und auch einfach Risse in den Bergen, die in abgründige Tiefen führen.

So kann uns manchmal auch die Bibel erscheinen. Wir lesen oder hören Gottes Wort und mitten in einer fesselnden Erzählung tun sich plötzlich Stellen vor uns auf, wo wir staunen, in welche Tiefen sie gehen. So ist es auch, als Pilatus den Heiland nach draußen vor die Menge führen lässt. Ausgepeitscht steht Jesus da und wird lächerlich gemacht mit einer Dornenkrone und einem schäbigen Königsrock, der mittlerweile voller Blut ist. So steht er vor der johlenden Menge. Und Pilatus – der blickt Jesus an, und bewegt ruft er aus: „Seht, welch ein Mensch!

So hat Luther übersetzt. Es scheint, Pilatus will damit die Menschenmenge bewegen, Mitleid mit dem Herrn zu haben. Im Griechischen steht wörtlich da: „Seht! Der Mensch!“ Gähnend tut sich mit diesem Ausdruck eine Tiefe auf. Wie viel hat Pilatus begriffen? Er ist erstaunt und erschreckt. Pilatus hat viel mit Menschen zu tun. Menschen wie die Juden verachtet er. Er findet sie arrogant und stolz und dumm, weil sie sich der Macht Roms nicht beugen wollen.

Aber nun sieht er – einen Menschen. In diesem ausgepeitschten und durchgeprügelten Jesus erkennt Pilatus den Menschen. Ob er ihn erkannte als den Menschen, den Gott wollte, als er schuf? Wir wissen es nicht. Jesus ist aber tatsächlich „der Mensch.“ Er verkörpert was es ist, wirklich Mensch zu sein. Und ist dabei gleichzeitig wahrer Gott.

Auf Hebräisch heißt „Mensch“ – „Adam“. „Seht: Der Adam!“ Das sagt das Neue Testament anderswo deutlicher: „Denn da durch einen Menschen der Tod gekommen ist, so kommt auch durch einen Menschen die Auferstehung der Toten. Denn wie sie in Adam alle sterben, so werden sie in Christus alle lebendig gemacht werden.“ 1. Kor 15,21f.

Jesus ist der zweite Adam. Er ist der Mensch, mit dem Gott noch einmal von vorne anfängt. Wo der erste Adam alles verbockt hat, hat der zweite Adam alles wieder mit Gott ins Reine gebracht. Wo der erste Adam über alle Menschen den Tod gebracht hat, geht der zweite Adam in den Tod, um für alle das Leben zu gewinnen. Darum hoffen auch wir auf ihn in der Passionszeit und zu Ostern, im Leben und im Sterben! Möge er uns durch die Taufe täglich neu machen zu Menschen nach seinem Bilde.