Wo ist so ein herrliches Volk, dem ein Gott so nahe ist wie uns der HERR, unser Gott, sooft wir ihn anrufen? Und wo ist so ein großes Volk, das so gerechte Ordnungen und Gebote hat wie dies ganze Gesetz, das ich euch heute vorlege? Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Und du sollst deinen Kindern und Kindeskindern kundtun.
(5. Mose 4,7-9)
Mit diesen Worten ermahnt Mose das Volk, Gottes große Wohltaten nie zu vergessen, die er dem Volk Gottes erwiesen hat, indem er sie aus der ägyptischen Sklaverei erlöste, von der heidnischen Abgötterei befreite, ihnen sein Wort so deutlich und verständlich gab und in seiner Wohnung, der Stiftshütte, mitten unter ihnen lebte und ihnen nahe war. Immer konnten sie Gott finden, immer durch Mose mit ihm reden, immer mit seiner Gegenwart rechnen. Gottes Güte und Gnadengaben sollten sie nie vergessen ihr Leben lang, und diese Geschichten und Gottes große Gnade weitererzählen und lehren ihren Kindern und Kindeskindern, damit Gott für immer unter dem Volk dadurch geehrt und gepriesen werde.
Das hat sich bis heute nicht geändert. Wenn Gott seine Kirche baut und seine Kinder aus Gefahren und Knechtschaft errettet, sie frei macht und große Dinge an ihr tut, dann will er auch, dass die Kirche genau dies weitergibt, damit die nächste Generation Gott aus seinen Taten und seiner Treue zu seinen Kindern kennenlernen, damit Gott in seinen Gnadentaten bekannt bleibt und seine Kinder lebendigen Glauben an ihn haben, damit sie niemals von ihm lassen, damit sie frei bleiben und er gepriesen werde.
Das ist uns bleibt auch unser Anliegen als Gottes Bundesvolk, als seine Kirche. Wir feiern dieses Jahr das 505. Gedächtnis der lutherischen Kirchenreformation. Auch an uns geht Moses Aufruf: Wo ist so ein herrliches Volk, dem ein Gott so nahe ist wie uns der HERR, unser Gott, sooft wir ihn anrufen? […] Hüte dich nur und bewahre deine Seele gut, dass du nicht vergisst, was deine Augen gesehen haben, und dass es nicht aus deinem Herzen kommt dein ganzes Leben lang. Wissen wir noch, welchen Schatz wir am Wort Gottes haben, an den Erkenntnissen und Bekenntnissen der Reformation, an dem herrlichen Evangelium der Erlösung, des Freikaufs von Sündenschuld durch unseren einzigartigen Retter und Erlöser Jesus Christus?
Wenn wir recht erkennen wollen, wie viele und wie große Wohltaten Gott an uns getan hat, müssen wir an den Zustand der Kirche vor der Reformation denken. Christen hatte keine Bibeln, einige Priester selbst kannten sie nicht und lasen nicht drin; die Lehre der Gnade Gottes in Jesus Christus war verdunkelt und wurde nicht verkündigt, sondern es gab oft Fabeln und Heiligenlegenden in den Predigten zu hören; ja, das Heilige Altarsakrament wurde gespendet, aber ganz wenige nur wussten von den Schätzen des Abendmahls; Christen konnten keine Gewissheit über ihre Seligkeit bekommen, sondern wurden immer wieder auf ihre Absichten und Werke hingewiesen wie Fasten, Pilgerreisen und dergleichen; vielen wurde das Gewissen auch noch beschwert; Christen wurden durch die Beichte fast gefoltert, sie wurde aufgezwungen; viele Seelsorger hatten keine Ahnung von ihrem eigentlichen Auftrag; Freiheit von Strafe für Sünden meinte man kaufen zu können. Welch ein Elend!
Aber seit der Reformation haben wir die Bibel in allen Händen, können sie günstig kaufen und sie verstehen, weil sie in unserer Muttersprache zu uns redet, wir haben die reine Lehre vom Glauben mündlich und öffentlich, selbst unsere Kinder lernen sie, wir haben die heiligen Sakramente, den rechten Gebrauch der Einzel- und der gemeinsamen Beichte, Vergebung der Sünden, Freiheit des Gewissens und des Gottesdienstes.
Denken wir noch daran? Oder vergessen wir diese Gaben wie die Juwelen im Schließfach bei der Bank? Lehren wir unsere Kinder und Kindeskinder die großen Wohltaten Gottes? Machen wir denn auch von ihnen Gebrauch, oder lassen wir sie verkommen und verstauben? Oder gebrauchen wir sie fleißig – das heilige Abendmahl, das Leben in der Taufe, den Katechismus? Sagen wir Gott dafür Dank und Lob von Herzen? Lassen wir seine Gnade auf uns einwirken? Ermutigen wir einander zum rechten Gebrauch dieser Gaben?
Wir wollen nicht vergessen die Schätze der Reformation, des Wortes Gottes. Das Evangelium und die rechte Freiheit der Kinder Gottes soll uns nicht aus den Herzen kommen unser Leben lang. Nehmen wir ernst die Gaben Gottes und seine große Wundertat – gar teur hat er’s erworben – dann kommen wir gar nicht mehr aus dem Staunen heraus, im Glauben achten und fassen wir seine Wohltaten und gehen mit ihnen um wie unbezahlbar wertvolle Schätze, geben sie an die Kinder und Kindeskinder weiter und lassen unser Leben lang nicht davon. Gott gebe dazu seine Gnade in Jesus Christus. Amen.