„Ich will brennen, leuchten und mein Licht in die Welt schicken, hört ihr?“ Laut rief die kleine Kerze ihren Wunsch in den Novembernachmittag hinaus. Doch da war niemand, der sie hörte. Sie seufzte. So lange schon lag sie im Korb halb unter einer Handvoll dicker, roter Stumpenkerzen verborgen und wartete darauf, dass auch sie wie ihre Kerzenfreundinnen einen Lichterschein über ihrem Haupt tragen
durfte. Aber es schien, als sei sie vergessen worden.
Die Zeit verging und die Kerze wartete. Längst strahlte ihr Kerzenkleid nicht mehr so hell. Der Staub der Monate hatte sich auf sie gelegt und ihre Haut fahl gelbgrau verfärbt. Gar nicht mehr schön sah das aus. Zumindest nicht festlich schön und das fühlte sich nicht gut an.
Die kleine Kerze dachte an ihre Gefährtinnen, die vor langer Zeit ein Fest mit ihrem Licht hell erstrahlen lassen durften. Nur sie musste warten, und eigentlich hatte sie die Hoffnung auf ein lichterhelles Kerzenleben aufgegeben. Sie seufzte wieder.
„Es ist nicht schön, eine vergessene kleine hässliche Kerze zu sein. Wozu sind wir Kerzen da, wenn nicht zum Leuchten?“
„Freu dich doch!“, meinte eine der Stumpenkerzen. „Du darfst hier liegen und träumen, lauschen, fühlen, sehen und die Zeit eine gute Zeit sein lassen. Deine Kolleginnen hingegen sind in der Hitze des Feuers verbrannt, geschmolzen, verschwunden und vergessen.“
Verbrannt, geschmolzen, verschwunden und vergessen? Das klang nach einem wunderbaren, echten Kerzenleben. Bis auf das Vergessen. Wer mochte gerne vergessen werden?
„Ist es nicht unser Job, Licht zu spenden auch wenn wir dabei verbrennen?“, fragte sie. „Sind wir Kerzen nicht dazu gemacht und dafür auf dieser Welt? Leuchten möchte ich und mich in strahlenden Menschenaugen spiegeln. Duftend und warm möchte ich sein und mein Licht soll den Menschen Freude bringen, Geschichten, Erinnerungen, Gedanken, Gefühle. Da wird kein Platz sein für das Vergessen.“
„Hm!“ Die Stumpenkerze schwieg für einen Moment. „Also, ich will auch nicht vergessen werden und das werden wir auch nicht. Bald kommt die dunkle Zeit, in der sich die Menschen nach unserem Licht sehnen. Dann sind wir an der Reihe, das verspreche ich dir, kleine Kerze. “
Ja, das war gut so und wird es auch immer sein.
„Danke.“ Die kleine Kerze freute sich, dass sie nicht alleine mit ihrem Kummer war und weiter hoffen durfte, ja, und dass das Warten doch nicht so schlimm ist. „Irgendwann“, sagte sie, „ist jeder mal an der Reihe und das ist gut so.“
Elke Bräunling
Ich bin in die Welt gekommen als ein Licht, damit wer an mich glaubt,nicht in der Finsternis bleibe. Joh 12,46