Der Knackpunkt des Verlorenen | 03. Sonntag nach Trinitatis 2024

Liebe Gemeinde, hier in unserer Gegend werden auch Gurken angebaut. Da nimmt man heile Gurken und schnibbelt sie in Stücke oder Scheiben und macht sie ein. Aber was bei Gurken gut ist, ist noch lange nicht gut bei Gleichnissen. Schnibbelgurken sind genießbar; Schnibbelgleichnisse eher nicht. Doch nach der Predigttextordnung wird uns alle 3 Jahre ein Schnibbelgleichnis aufgetischt. Man nimmt Lukas, Kapitel 15 und schnibbelt es auf. Im 3. Jahr liegen die Einleitung, das verlorene Schaf und der verlorene Groschen auf dem Teller, und im 6. Jahr die Einleitung und der verlorene Sohn. Aber die Lesung hätte das ganze Kapitel sein sollen und nicht nur Geschnibbeltes, denn so geht’s los: „Jesus sagte aber zu ihnen d i e s Gleichnis…“ Dies Gleichnis. Ein Gleichnis. Ein dreiteiliges Gleichnis verlorener Dinge: eins aus 100 Schafen, einer aus 10 Silbergroschen, einer von 2 Söhnen. Also: die ersten beiden Teile bilden die Grundlage für den dritten Teil, der der Knackpunkt des Ganzen ist. Durch die Schnibbelei bekommen wir einmal nur die ersten beiden Teile und beim andern Mal den dritten. Das ist so, als wenn man zwei Drittel eines Witzes erzählt und die Zuhörer dann ein paar Jahre auf den Rest warten lässt.

Jesus schaut auf die religiösen Typen, wenn er dieses Gleichnis erzählt. Auf Pharisäer und Schriftgelehrte. Auf die obere Schicht der religiösen Leute, die, wie so viele religiöse Typen, einen Großteil ihrer religiösen Zeit und Energie damit verbrachten, andere zu beurteilen und zu kritisieren, die nicht ihren Maßstäben von Religiosität entsprachen. Es ging darum, mit wem, mit welcher Klasse Jesus sich so abgab. „Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ Das allein war Grund genug, Jesus abzuschreiben. Welch ehrbarer Messias gibt sich denn mit Zöllnern und „Sündern“ ab?

Natürlich könnte man genauso gut fragen: „Welcher Arzt hält sich mit Kranken auf?“ Es sind nicht die Gesunden, die den Arzt brauchen, sondern die Kranken, sagte Jesus ein andermal. Stell dir vor, du kommst mit einer Grippe zu deinem Arzt in die Praxis, und er wirft einen Blick auf dich, hält sich die Hände vor den Mund und rennt davon… Ärzte haben mit kranken Menschen zu tun. Retter haben es mit Menschen in Not zu tun. Jesus ist gekommen, um Sünder selig zu machen. Die Selbstgerechten brauchen weder Jesus noch seine Rettung. Ihnen geht es gut, so meinen sie. Wozu brauchen sie denn noch einen Erlöser?

Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.“ Wir wollen uns freuen, dass er das tut. Das bedeutet, dass er auch dich annimmt und mit dir isst. In manchen Kreisen ist es Mode geworden, zu sagen, dass Christen keine Sünder mehr sind und dass sie sich nicht Sünder nennen sollten. Manche würden sagen, es ist falsch, oder sogar ketzerisch, zu sagen: „Ich armer, elender, sündiger Mensch…“ Sie würden sagen: „Nein! Das ist, was du warst, nicht das, was du bist. Sprich nicht so! Nenne dich einen Verlierer und du wirst verlieren. Nenne dich einen Gewinner und du wirst gewinnen.“ Doch dann kommt der heilige Apostel Paulus und schenkt klaren Wein ein: „Das ist gewisslich wahr und ein teuer wertes Wort: Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin.“ Das ist richtig. So soll ein jeder von uns an die Heilige Schrift herangehen. Wenn schon der große Apostel so redet, dann auch wir: ich selbst bin der erste Sünder, ich, und nicht der andere.

Christus Jesus ist in die Welt gekommen, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Diese einfache Botschaft muss immer und immer wieder wiederholt werden, sie ist der Knackpunkt, den die Welt und alle ihre missmutigen und brummigen Religionen nicht begreifen. Jesus ist der Retter der Sünder, der Erlöser der Unerlösbaren, der Rechtfertiger derer, die nichts vorzuweisen haben. Er ist der Finder der Verlorenen, der die Verlierer in ihrer Verlorenheit sucht und Tote unverdient aus ihren Gräbern auferweckt.

[4] Nun, ich bin im Dorf aufgewachsen und weiß so gut wie gar nichts über Schafe und das Hüten von Schafen, außer dass Matunjanes sehr gut schmecken, aber meine Antwort auf diese Frage ist: „Wie soll das gehen?“ Wer lässt denn schon 99 wertvolle Schafe in einer Wildnis voller Wölfe stehen, um einem Schaf hinterherzuhasten, das nicht mal verständig genug ist, bei der Herde zu bleiben? Das ist kein guter Umgang mit Energie und Zeit, wenn man mich fragt; schreib das eine verlorene Schaf ab und mach weiter.

Noch unbegreiflicher ist, dass der Hirte, wenn er das verlorene Schaf findet, es gratis und umsonst auf seinen Schultern nach Hause trägt, seine Freunde und Nachbarn einlädt und ein Fest für das verlorene Schaf gibt, das er gefunden hat. Nun steht es nicht hier, aber es keine Party ohne einen Braai, also wurde etwas gebraten und es war nicht das verlorene Schaf. Das ist unbegreiflich, und der Knackpunkt des Evangeliums noch unbegreiflicher, nämlich: [7]

Im Himmel herrscht mehr Freude über einen Sünder, der seine Sündhaftigkeit erkennt und sagt: „Ich armer, elender, sündiger Mensch“, als über 99 selbstgerechte, rechtschaffene religiöse Menschen, die keine Umkehr brauchen. Mehr Freude im Himmel über jemanden, der einfach sagt: „Gott, sei mir Sünder gnädig“, als über 99 moralisch aufrichtige, umweltbewusste Gesellschaftsveränderer, die keine Umkehr brauchen. Mehr Freude.

Ich erzähle euch noch einen Witz. Mal sehen, wer ihn begreift. Eine Frau hat zehn silberne Münzen, Silbergroschen. Sie verliert einen. Sie stellt das ganze Haus auf den Kopf, um ihn zu suchen. Sie fegt die Bude aus, dreht die Sofakissen um, stellt alle Stühle auf den Tisch. Einen ganzen Tag und eine ganze Nacht sucht sie sich die Finger stumpf. Aber als sie ihn gefunden hat, lädt sie all ihre Freundinnen und Nachbarinnen über WhatsApp zu einer spontanen Party ein und gibt viel mehr aus, als die Münze jemals wert war, ganz zu schweigen von der Zeit, die sie für die Suche aufgebracht hat.

Das ist doch verrückt, oder? Niemand würde das tun. Naja, vielleicht würde man nach der Münze suchen. Sie war ziemlich wertvoll. Eine Drachme, der Preis für ein gutes Schaf – R3000 oder R4000, wenn’s aus Lüneburg kommt. (Hmmmm. Die Münze ist so wertvoll wie ein Schaf. Interessant…) Es kommt Freude auf, wenn man findet, was man verloren hat. [10] Das ist unbegreiflich. Freude im Himmel über einen Sünder, der einfach erkennt, dass er sich nicht selbst retten kann und Christus vertraut, dass er ihn rettet. Ein Sünder, der Buße tut, der sich selbst neu einschätzen lernt und zu Christus kommt – und die Heerscharen der Engeln freuen sich unbändig. Und es geht nicht mal um etwas, das er tut. Er ist das verlorene Schaf, er ist die verlorene Münze. Das Suchen und Finden, das sind Dinge, die ihm angetan werden. Und dass er gefunden wird, ist ein Grund zur Freude und zum Feiern und zum ausgiebigen Fest!

Und dann kommt der große Witz von dem Sohn, der zu seinem Vater sagt: „Zum Kuckuck mit dir“, der sein Erbe nimmt, es vergeudet und verschleudert, aber dann in die vergebenden Arme seines Vaters zurückkehrt, der sich derart freut, dass er ein Kalb schlachtet und ein Fest gibt und alle einlädt. Auch den älteren Bruder, der sich weigert, die unbegreifliche Gnade, die Sünder selig macht, zu akzeptieren. Und wir fragen uns am Ende: Wird er es doch noch begreifen? Kommt er zur Party und feiert mit? Wird er lernen, sich selbst so einzuschätzen, wie er seinen Bruder einschätzt? Wird er lernen, zu lachen über die suchende, forschende Gnade Gottes, der für seine Feinde stirbt, der uns rechtfertigt, als wir noch Sünder waren, der uns suchte, bevor wir überhaupt wussten, dass wir verloren waren, der uns im Tode auffand und zum Leben auferweckte, als wir noch tot waren.

Werden wir das begreifen? Werden wir uns einschätzen lernen, wie Paulus sich selbst eingeschätzt hat? Gottes Gesetz verlangt es nämlich, und widerspiegelt es ins Gesicht, mir und dir: Du bist der erste und größte Sünder. Du bist das verirrte, vom Weg abgekommene Schaf. Du bist die hoffnungslos verlorene Münze, die sich selbst nicht finden kann. Du bist die Ursache der Freude im Himmel, der Freude, die Christus bewegte, das Kreuz zu erdulden und seine Schande gering zu achten. Du warst verloren durch Sünde und Tod, Christus ging hinaus und suchte dich in der Wildnis deiner Sünde. Er hat dich im finstern Tal seines Todes gefunden. Er nahm dich auf seine Schultern und erweckte dich aus den Tiefen des Grabes in den höchsten Himmel zur Rechten des Vaters. Er suchte dich ohne Rast und Ruh, bis er dich im Wasser deiner Taufe fand. Und an jenem Tag herrschte Jubel, Jubel unter den Engeln und der ganzen himmlischen Schar, die dem Herrn ihr Halleluja sangen, als du getauft wurdest.

Heute wird viel über die Freude oder das Fehlen der Freude geredet. Viele Kirchen sind zu freudlosen Orten geworden, die Gottesdienste voller Druck und Spannung, sie verstehen sich als Motivationsveranstaltungen statt als Gemeinde der Sünder, als Fest der übereifrigen Gewinner statt als Party für dankbare Verlierer. Der Grund, warum die Kirchen ihre Freude verloren haben, ist, dass sie den Knackpunkt aus den Augen verloren haben. Sie haben den Witz vergessen oder finden ihn nicht mehr lustig. Sie sind so sehr damit beschäftigt, die Welt zu verbessern, dass sie den Knackpunkt, den Sinn der ganzen Sache übersehen: dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich und jeder einzelne von euch der erste ist.

Jesus erzählte ihnen dieses Gleichnis, weil sie sich ärgerten über die Leute, mit denen er sich aufhielt. Sie hätten erleichtert sein sollen, dankbar, ja sogar überglücklich über die großartige Nachricht, dass er Zöllner und Sünder annahm und mit ihnen aß. Das bedeutete, dass an seinem Tisch auch ein Platz für sie gedeckt war. Und für dich. Begreifen wir das? Gott gebe es! INI Amen.

Soli Deo Gloria

Pastor Dr. Karl Böhmer


3. SONNTAG NACH TRINITATIS (Das Wort der Versöhnung)

Wochenspruch
Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen,
was verloren ist. Lukas 19, 10

Epistel

Ich danke unserm Herrn Christus Jesus, der mich stark gemacht und für treu erachtet hat und in das Amt eingesetzt, mich, der ich früher ein Lästerer und ein Verfolger und ein Frevler war; aber mir ist Barmherzigkeit widerfahren, denn ich habe es unwissend getan, im Unglauben. Es ist aber desto reicher geworden die Gnade unseres Herrn samt dem Glauben und der Liebe, die in Christus Jesus ist. Das ist gewisslich wahr und ein Wort, des Glaubens wert, dass Christus Jesus in die Welt gekommen ist, die Sünder selig zu machen, unter denen ich der erste bin. Aber darum ist mir Barmherzigkeit widerfahren, dass Christus Jesus an mir als erstem alle Geduld erweise, zum Vorbild denen, die an ihn glauben sollten zum ewigen Leben. Aber Gott, dem ewigen König, dem Unvergänglichen und Unsichtbaren, der allein Gott ist, sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

1. Timotheus 1, 12 – 17

Hauptlied
Allein zu dir, Herr Jesus Christ 273
Jesus nimmt die Sünder an 290

Evangelium

Es nahten sich Jesus allerlei Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. Und die Pharisäer und Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen. Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eins von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude. Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen. Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. So, sage ich euch, wird Freude sein vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.

Lukas 15, 1 – 10