Vortrag zum Seniorentreffen

der Christusgemeinde Kirchdorf,

den 12. Oktober 2021

Pastor Dr. Karl E. Böhmer

Teil I

Als es an der Zeit war, die ersten Missionare nach Afrika zu entsenden, stand der Gründer und Vater der Hermannsburger Mission, Pastor Louis Harms, vor dem praktischen Problem, wie er sie dorthin bringen sollte. Der kommerzielle Personentransport war einfach zu teuer. So versuchte Harms eine Zeit lang, den Missionaren eine Überfahrt auf Schiffen verschiedener internationaler Handelshäuser zu verschaffen, jedoch ohne Erfolg. Dann schlugen einige Seeleute Harms vor, ein eigenes Schiff bauen zu lassen. Sie waren der Meinung, dass die Baukosten bald wieder hereingeholt werden könnten, indem man auf der Rückreise nach den Passagiertransporten zum Missionsfeld gewinnbringend Fracht beförderte. Harms gefiel die Idee. Die anfänglichen Kosten von 14.000 bis 15.000 Talern (Silbermünzen) für den Bau des Schiffes hätten ohnehin so viel gekostet wie drei kommerzielle Entsendungen nach Afrika. Es blieb dennoch eine hohe Summe und ein anspruchsvoller Plan, aber Louis Harms nahm die Herausforderung auf sich. Im Gebet ließ der mutige Mann ein Schiff bauen, obwohl viele ihn für verrückt erklärten und mit allen Mitteln versuchten, ihn davon abzubringen. Trotzdem spendeten viele Menschen großzügig, sowohl Reiche als auch arme Witwen und Waisen, weil sie glaubten, dass Gott der Herr Louis Harms für die Missionsarbeit gebrauchen wollte. Und der Plan ging auf. Mitglieder einer einzigen Gemeinde (der Peter-Paulsgemeinde in Hermannsburg, die Pastor Harms betreute) und einige Freunde der Mission gaben genug, um ein Schiff bauen zu können. Viele spendeten: Bauern, Adlige und Geschäftsleute, selbst Witwen und Waisenkinder. Der Bau einer Schonerbrigg wurde in Auftrag gegeben. Pastor Louis Harms bezahlte den Kauf in Bar. Das Schiff wurde die „Candace“ („Kandaze“ in heutigem Deutsch) genannt nach der Königin der Äthiopier (Apostelgeschichte 8,26-27), für die der erste afrikanische Christ, der sog. „Kämmerer aus dem Mohrenland“ arbeitete. Eine schöne Schnitzerei der schwarzen Königin Candace wurde angefertigt und als Gallionsfigur vorn am Bug angebracht. Das alte Äthiopien soll als erstes afrikanische Land zumindest teilweise das Christentum angenommen haben, und nun segelte passend die Figur der Candace den Missionaren voran, die das Evangelium nun auch zu anderen Äthiopiern, insbesondere dem äthiopischen Stamm der Oromo bringen wollten. Äthiopien war deshalb das erste Reiseziel des Missionschiffs Candace.

Das schöne Schiff wurde am 27. September 1853 eingeweiht. Rund 400 Gemeindemitglieder reisten zur Einweihung an und sangen unterwegs im Zug Gesänge und Loblieder. Hunderte von Gästen kamen aus der ganzen Umgebung. Im Bericht heißt es: „Mittags kamen wir hin, da lag auf dem Stapel die schöne, schlanke, kupferbeschlagene Brigg mit ihren Fahnen und Wimpeln auf den hohen Masten. Unser lieber Hafenmeister hatte den anderen Schiffen im Hafen angezeigt: das Missionsschiff werde heute geweiht, und siehe da, alle Schiffe im Hafen flaggten, dass es lustig und lieblich anzusehen war. … Uns als nun der Gesang anfing: Bis hierher hat uns Gott gebracht! Ja da fühlte es gewiss jedes Herz auf tiefste: das hat der HErr getan und ist ein Wunder vor unsern Augen (Ps 118,23).“ Pastor Harms predigte über den Herrn Jesus, der Wind und Wellen befiehlt, die Angereisten sangen „Nun danket alle Gott“ und die Candace wurde zu Wasser gelassen, um die sieben Meere zu befahren.

Die erste Reise führte die ersten acht Missionare und acht Kolonisten von Hamburg nach Kapstadt, von dort aus über Durban (damals Port Natal) an der ostafrikanischen Küste entlang nach Sansibar. Von dort aus wollten sie ins Landesinnere zum Volk der Oromo in Äthiopien reisen und ihnen die frohe Botschaft von Christus bringen. Doch den Missionaren wurde in Sansibar die Einreise verweigert; schließlich segelten sie auf der Candace nach Süden in Richtung Port Natal (Durban) und überlegten und beteten, was sie als nächstes tun sollten.

In Durban lebten seit 1848 bereits einige Deutsche, die sogenannten Baumwolldeutschen, von denen die meisten aus denselben Gegenden wie die nun anreisenden Missionare stammten. Als die Candace am 9. März 1854 wieder in Port Natal einlief, standen die Missionare mit ihren Blechblasinstrumenten an Deck und spielten „Ein feste Burg ist unser Gott“ – und die Klänge des Reformationsliedes schallten über das Wasser in die Hafengegend und wurden von einigen der Baumwolldeutschen gehört und erkannt, die dann neugierig die Landsleute auf dem Schiff aufsuchten. Prompt erhielten die Hermannsburger eine Einladung nach Neu-Deutschland. Dort lud Pastor Posselt sie ein, in Natal zu bleiben; sie reisten ins Landesinnere, kauften die Farm „Perseverance“ in der Gegend von Greytown unweit der Grenze der Natalkolonie zu Zululand, gründeten dort „Hermannsburg“ – und der Rest ist, wie man so sagt, Geschichte.

Nun, die Candace wurde im Hafen von Port Natal gewartet (das war nach jeder Seereise fällig) und wieder seetüchtig gemacht. Nachdem sie mit Fracht beladen wurde, trat sie die Heimreise an. Die Candace kehrte im September 1855 nach Deutschland zurück. Ab dann fuhr sie regelmäßig hin und her; eine Hin- und Rückfahrt inkl. der fälligen Wartungen schaffte sie im Schnitt alle 18 Monate.

Im Jahre 1859 befürchteten viele, dass die Candace aus minderwertigem Holz gebaut war und nicht lange seetüchtig bleiben würde. Als der Geschäftsführer der Hermannsburger Mission, Kaufmann Nagel in Hamburg, einige dieser Bedenken gegenüber Louis Harms äußerte, schrieb Harms zurück: „Seien Sie unverzagt, lieber Bruder. Lebt denn nicht der Herr Jesus noch? Ist das Ganze nicht seine Sache? Fassen Sie sich ein Herz und haben Sie keine Angst. Ich bin so fröhlich im Herrn, dass ich nicht aufhören kann zu loben und zu singen.“ Gut war es, dass die Candace unten am Schiffskörper mit Kupfer beschichtet war, um Fäulnis zu verhindern und das Holz zu schützen, und das funktionierte so gut, dass das Schiff der Hermannsburger Mission noch viele Jahre lang diente.

Auf dem Rückweg von Natal im Jahr 1861 segelte die Candace bei dichtem Nebel durch den Ärmelkanal, als sie leider plötzlich mit einer englischen Brigg zusammenstieß. Die Besatzung und die Waren hatten den Zusammenstoß gut überstanden, aber die Candace selbst brauchte größere Reparaturen. Sie wurde in die englischen Hafenstadt Falmouth geschleppt und dort trockengelegt und repariert. Das Schiff wurde in zwei Hälften geteilt und um etwa 7 Meter verlängert. Erst nach mehreren Monaten konnte sie wieder in See stechen. Die Verlängerung der Candace in Falmouth ist der Grund, wieso die Candace auf verschiedenen Bildern und Malereien aus der Zeit so unterschiedlich aussieht.

Insgesamt absolvierte die Candace 15 internationale Fahrten, davon 12 im Dienst der Mission. Die „Heilige Brigg“ transportierte später neben dem Missionspersonal auch Gruppen von Einwanderern nach Südafrika. Die Candace diente bis 1875. Es wurde zu teuer, sie zu warten und instand zu halten, und sie wurde für 5000 Taler verkauft.

Das bringt uns zum Ende des ersten Teils. In Teil II wollen wir uns dem Leben an Bord des Schiffes während der Seereisen zuwenden.