04. Sonntag im Advent (Die nahende Freude)

Predigt zum 04. Sonntag im Advent (Die nahende Freude) – Christusgemeinde Kirchdorf | 20. Dezember 2020 | Mose 18,1-15 I.i.


Ein alter Mann. Ein heißer Tag. Eine sengende Hitze. Der alte Mann döst im Schatten vor sich hin, seine Erinnerungen wandern wie er von Zeit zu Zeit. Doch da – in der flimmernden Hitze – drei Reisende. Reisende bieten Gesellschaft, vielleicht interessante Neuigkeiten, ein anregendes Gespräch. Das tun sie dann auch. Was wie ein ganz gewöhnlicher Tag aussah, an dem man in der Hitze des Tages summende Fliegen verjägt, bringt eine ungewöhnliche, sogar transhistorische Begegnung mit der Heiligen Dreieinigkeit. Abrahams Knie protestieren, aber doch steht er auf, eilt den drei Männern entgegen, neigt sich zur Erde wie vor Gott, bietet Rastplatz an, Wasser, damit sie ihre Füße waschen können, lädt sie ein, sich im Schatten bei ihm unter dem Baum auszuruhen; er bereitet ihnen ein reichliches Mahl zu.

Wer sind diese Männer? Die alten Kirchenväter verstanden sie als eine Erscheinung der Heiligen Dreieinigkeit. Wieso? Wenn wir genau hingucken, steht hier buchstäblich: „Der Herr erschien“ Abraham – aber es stehen drei Männer vor ihm. Wenn sie reden, reden sie genau das Gleiche, drei Männer, der gleiche Sinn. Sie reden, der Herr redet, drei Männer als Erscheinung der drei Personen des einen Gottes. Das wussten schon die Kirchenväter. Aber damals gab es keine Journalisten, Paparazzi, oder Kameras, so dass wir uns auf Moses Worte verlassen, und mit diesen Worten können wir ein Bild dieses erstaunlichen Ereignisses zeichnen und seine Bedeutung verstehen. Christliche Künstler malten Bilder, die Abraham und Sara zeigen, wie sie auf die drei Besucher warteten. Diese Bilder nennt man Ikonen, Bilder als Begleitung im Gottesdienst, Ikonen, um zu Gebeten anzuleiten. Die bekannteste Ikone dieses besonderen Ereignisses nennt sich „Abrahams Gastfreundschaft“, oder einfach nur „die Heilige Dreieinigkeit“. Diese Ikone ist sehr beliebt – ja, es ist es sogar die häufigste Art und Weise, wie die orthodoxe Kirche die Heilige Dreieinigkeit in der Kunst darstellt. Eine 1000-jährige Tradition schlägt sich nieder in diesem Bild, gemalt von Andrei Rublev, einem berühmten russischen Künstler im Jahre 1411. Er machte was Interessantes. Er hat das Bild drastisch vereinfacht. Abraham und Sara sind aus dem Bild verschwunden, nur die drei Engel (genauer: Boten) sind noch da. Außerdem sind im Hintergrund einige Objekte zu sehen – ein Haus mit einer offenen Tür, ein Baum und ein Berg. Was vorher ein Tisch voller Geschirr und Mahlzeit war, ist jetzt einfach ein Altar mit einem Kelch in der Mitte. Damit verschob Rublev die Betonung. Er hat den Schwerpunkt auf eine Meditation über den Dialog der Liebe innerhalb der Dreieinigkeit verschoben. Als ein Nachdenken über das Geheimnis der Heiligen Dreieinigkeit ist diese Ikone absolut brillant. Auf links der Vater, der den Sohn sendet, in der Mitte der Sohn mit den zwei Naturen, wahrer Gott und wahrer Mensch, der sich dem Vater unterordnet, rechts der Heilige Geist, der vom Vater und dem Sohn ausgeht und den Kreis schließt, um ihre Einheit auszudrücken. Sie stehen nicht aufrecht und machtvoll, sondern jeder Kopf ist ein wenig geneigt, um Ehrerbietung zu zeigen, einer zum andern, und ihre Augen schauen einander an. Es entsteht eine Atmosphäre der Ruhe, der Liebe, der zeitlosen Miteinanders und der intimsten Verbundenheit.

Nun gibt es in unserer Kirche keine Ikone der Heiligen Dreieinigkeit, nur das Kruzifix. Es markiert den Platz in dieser Kirche, an dem die Heilige Dreieinigkeit durch das verlesene Wort gegenwärtig ist und ihre Gaben austeilt, aktiv austeilt. „Nur“ das Kruzifix, sag ich, aber genau darum geht es doch. Darauf kommt alles an. Und das ist auch der springende Punkt in diesem Text. Gott wird sein Versprechen an Abraham halten, Sara wird Abrahams Sohn in die Welt bringen, aus Abrahams Körper wird ein großes Volk hervorgehen und letztlich auch der wirkliche und endgültige Sohn Abrahams, der Same Abrahams, der sein Fleisch am Holz des Kreuzes für die Vergebung und das Leben der Welt opfert und im Schatten seines Kreuzes wahre Ruhe spendet.

Aber erst einmal die Nachricht: „übers Jahr… soll Sara, deine Frau, einen Sohn haben.“ Das ist doch ein Witz, denkt Sara, dass sie nun noch im hohen Alter einen Sohn bekommen sollen, sie meint, da machen sich die 3 Männer über sie lustig, sie steht im Zelt und lacht unhörbar bei sich selbst. Da wenden sich drei Angesichter zu ihr, der Herr sagt zu ihr im Zelt: „Sollte dem Herrn etwas unmöglich sein?“ Und dann das Echo, mehr als eintausend Jahre später: Und der Engel kam zu der Jungfrau Maria und sagte: „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn gebären… Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich.“ (Lk 1,31.37) Die eine zu alt, die andere zu jung. Da haben wir’s wieder! Die Vorstellung, dass eine Jungfrau einen Sohn gebärt, bringt bis heute jeden zum Lachen – aber nicht Maria. Maria lacht nicht. Sie hört auf Gott und antwortet: „Mir geschehe, wie du gesagt hast.“ Und sie bricht in einen Lobgesang aus, ihr Geist jubelt über Gott, ihren Heiland. Dort der Engel Gabriel, der die Nachricht bringt, aber hier… Es sollte uns nicht überraschen, dass die Heilige Dreieinigkeit sich Abraham so deutlich offenbart gerade bei der Ankündigung seines Sohnes, denn was der dreieinige Gott hier sagt, geht um seine eigene Menschwerdung: Seht, wo Jesus ist, ist die Heilige Dreieinigkeit. Jesus sagt zu den Juden: „Abraham, euer Vater, wurde froh, dass er meinen Tag sehen sollte. Er sah ihn und freute sich. … Ehe Abraham wurde, bin ich. … Wer mich sieht, der sieht den Vater.“ (Joh 8,56.58; 14,9) Er sagt: „Glaubt mir, dass ich im Vater bin, und der Vater in mir.“ (Joh 14,11) Er sagt: „Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.“ (Mt 18,20) Wo der Name Jesu ist, da ist er, und wo er ist, da ist der Vater, und da ist der Heilige Geist, da ist die Heilige Dreieinigkeit.

Christlicher Gottesdienst wird immer durch die aktive Gegenwart der Heiligen Dreieinigkeit unter uns bewirkt und geprägt. Jedes Mal – jedes Mal! – wenn dieser göttlich geoffenbarte Name ausgesprochen wird, ist es fast so, als ob er von uns eine physische Antwort, eine Art begleitende Handlung verlangt. Es ist, als könnten wir nicht anders. Wenn wir hören „im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes,“ wenn der dreifache Segen des Herrn gesprochen wird, beugen sich die Kinder in der Christenlehre in der heiligen Gegenwart des heiligen Gottes, und nicht nur sie, wenn wir das Gloria singen und den Namen singen, verbeugen wir uns alle: „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem Heiligen Geiste.“ Beim Lob, beim Segen stehen wir in Ehrfurcht, denn der christliche Gottesdienst wird durch die aktive Gegenwart der Heiligen Dreieinigkeit unter uns bewirkt und geprägt. Die Heilige Dreieinigkeit ist kein abstraktes, theoretisches Konzept der Kirchenlehre, das in den grauen Zellen inmitten von Blitzlichtern elektrischer Impulse nur irgendwie geistig herumschwebt. Die Heilige Dreieinigkeit ist Gott. Sie ist das göttliche Wesen. Er hat uns erschaffen. Er hat uns erlöst, so dass wir uns im Gottesdienst nicht einfach gelassen zurücklehnen und etwa über göttliche Dinge spekulieren. Nein, er spekuliert über uns! Unmittelbar nach der Begegnung mit Abraham spekulierte er auf die Männer von Sodom und Gomorrah. Sie spekulierten und dann handelte er in Sodom. Die Sodomiter erlebten Gottes Zorn, sein Gericht, seine Zerstörung. Ihre Zeit war gekommen. Götzendienst zusammen mit sexueller oder geschlechtlicher Verwirrung sind in einer perversen Wechselseitigkeit untrennbar miteinander verbunden. Sie sind beide Lügen. Wenn Gott über uns spekuliert, sind keine Hypothesen im Spiel. Sara lachte – und dann stritt sie es ab, dass sie gelacht hatte. Also sagt der Herr, der alles weiß und alles sieht, geradeaus: „Es ist nicht so, du hast gelacht.“ Gott spekulierte auch über Abraham und Sara, und handelte dann mit unverdienter Gnade und Barmherzigkeit. Er schenkte ihnen und uns einen Sohn. Abraham war ein Mann, der Gott, den Herrn, treu vertraute, und er glaubte an das Wort des Herrn, das ihm als Gerechtigkeit angerechnet wurde. Wenn wir sündigen, ist unser erster Impuls – wie bei Sara –, Ausreden zu erfinden und zu lügen. Aber Gott fällt nicht auf unsere Lügen und Selbsttäuschungen herein. Er sagt uns: „Es ist nicht so, du hast gelacht.“ Du hast gesündigt. Und so antworten wir: „Ja, wir haben gelacht. Wir haben gesündigt.“ Und dann, als seine Kinder, zieht uns der Heilige Geist an den Tisch des Vaters. Eigentlich eilen wir, wie Abraham zu den drei Männern eilte. Wir eilen zu seinem Altar, wo es Liebe und Vergebung und ewiges Leben gibt.

Das bringt uns zu einem letzten Gedanken, der uns zur Ikone zurückführt. Das Faszinierende an Ikonen ist die umgekehrte Perspektive. Bilder aus der westlichen Kunst, die wir kennen, sehen realistisch aus, weil es einen Fluchtpunkt auf der Leinwand gibt, auf den alle Linien und alles zusteuert. Obwohl es zweidimensional ist, vermittelt es die Illusion, dreidimensional zu sein. Ikonen tun das nicht. Sie tun genau das Gegenteil. Sie setzen den Fluchtpunkt hierhin, also gehen alle Linien nach hinten. Es funktioniert nicht, und deshalb sieht es primitiv aus, und es sieht aus, als hätten sie nie gelernt, wie man richtig malt. Aber das haben sie tatsächlich. Es ist sehr absichtlich gemacht, und es ist sehr raffiniert. Ikonen machen die Betrachter. Sie funktionieren so, dass sie die Figuren näher an einen heranbringt. Und wenn es Gott ist, ist es sehr klar; wenn es ein Altar ist, ist es sehr klar: Gott ist hier. Gott ist gegenwärtig. So kommt der Altar und der Kelch in der Mitte der Ikone der Dreieinigkeit auf uns zu. Das soll heißen: Heute – heute! – ist es der Altar, wo wir durch den Kelch in die innigste Gemeinschaft mit der Heiligen Dreieinigkeit gebracht werden, demselben Gott, der Abraham besucht hat. Derselbe Gott, vor dem Abraham sich zur Erde niederbeugte, um ihn anzubeten, als sei er Gott, der die drei Männer „Adonai“, Herr nannte. Wir verneigen uns vor der Gegenwart des Herrn, wenn wir vor seinen Altar treten, wenn wir seinen Namen genannt hören und wenn wir von seinem Leib und Blut empfangen. Denn wo Jesus ist, da ist der Vater, da ist der Geist – der Geist, der unser Lachen, unseren Unglauben, unsere Lügen in Glauben verwandelt, in wahres Bekenntnis, in echtes Gotteslob. Denn wisst ihr – der Heilige Geist kann das tun. Er kann es! Denn bei Gott ist kein Ding unmöglich. Amen. SDG

03. Sonntag im Advent (Der Vorläufer des Herrn) – 2020


Wochenspruch
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!

Philipper 4, 4 – 5

Introitus – Nr. 4 (Psalm 102, 17 u 14)

Epistel
Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe! Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden! Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Philipper 4, 4 – 7

Evangelium
Maria machte sich auf in diesen Tagen und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth. Und es begab sich, als Elisabeth den Gruß Marias hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe. Und Elisabeth wurde vom Heiligen Geist erfüllt und rief laut und sprach: Gepriesen bist du unter den Frauen, und gepriesen ist die Frucht deines Leibes! Und wie geschieht mir das, dass die Mutter meines Herrn zu mir kommt? Denn siehe, als ich die Stimme deines Grußes hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leibe. Und selig bist du, die du geglaubt hast! Denn es wird vollendet werden, was dir gesagt ist von dem Herrn. Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn, und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes; denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder. Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und  dessen Name heilig ist. Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten. Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn. Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen. Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen. Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf, wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit. Und Maria blieb bei ihr etwa drei Monate; danach kehrte sie wieder heim.

Lukas 1, 39 – 56