Estomihi (Mit sehenden Augen) – 2021

Estomihi (Mit sehenden Augen) – 2021

Backsteine lassen sich nicht essen… Eigentlich müsste es doch funktionieren – ich hab mich streng an die Anweisungen gehalten, und dennoch ging es daneben. Immer wieder kam ein Backstein dabei heraus, bei meinen kläglichen Versuchen, als junger unverheirateter Pastor Brot zu backen. Das Backen lief alles streng nach Rezept. Schritt 1, Schritt 2, Schritt 3. Hefeteig kneten, aufgehen lassen, in die Backform, das ganze Programm. Und nach aller Mühe hole ich das Brot aus dem Ofen – und kann es eigentlich besser in der Gartenmauer verwenden als auf dem Teller. Backsteine lassen sich nämlich nicht gut essen.

Beim Volk Israel gab’s beim Backen auch bloß Backsteine. Bildlich, versteht sich. „Man nehme eine Backschüssel“, so ging’s los, das Rezept lautet: „Man nehme sich Zeit für Gott. Man nehme sein Wort und lese darin und höre es. Man gebe sich Mühe, darin zu forschen und Gottes Wege zu wissen. Man bete. Täglich mehr dazu tun, umrühren, kneten und gären lassen. Man faste zweimal die Woche kräftig und mache sich das Leben schwer.“ Und dann? Ja, sagte das Rezept, dann hast du die Nähe Gottes. Mit Kirschenfüllung und Sahnebelag. Mit Segen. Mit Erfolg. Mit Gesundheit. Mit Reichtum. Mit Ansehen. Mit Sicherheit. Kinderleichtes Rezept, halte dich nur an die Anweisungen, Erfolg garantiert.“ Und so gehen die Menschen fleißig ans Rezept. Schritt 1, Schritt 2, Schritt 3. Hören Gottes Wort, beten, gehen in den Tempel. Und sie fasten kräftig. Weit mehr als Gott der Herr ihnen je auftragen hatte, mindestens zwei Tage die Woche. Damit der Sauerteig auch so richtig sauer wird. Aber statt Aufgang und Vergnügen gibt’s Backsteine wie gediegen. Nichts geht auf. Kein Segen, kein Erfolg, keine Gesundheit. Und deswegen kommen die Menschen und ballern bei dem lieben Gott an die Bürotür. „Von wegen Erfolgsgarantie!,“ brüllen sie. Wir haben uns genau an das Rezept gehalten, sogar mehr gefastet und aufgegeben als wir mussten, aber es bringt alles nichts. Du beachtest es nicht, siehst es nicht, hörst es nicht. Wir sind hier, um uns zu beschweren! Segen her, und zwar dalli! Backsteine lassen sich nämlich nicht essen.

So die Klage, so der Protest. Aber Gott der Herr ist von dieser Klage überhaupt nicht beeindruckt. Er schüttelt den Kopf. Und dann antwortet er auf die Klage. Er ruft seinen Propheten Jesaja her und drückt ihm eine Bassposaune in die Hand und sagt: So, jetzt schmetter mal ordentlich! Blase laut und kräftig, dass es ihnen in den Ohren gellt. Und dann geht es los, das Geschmetter: Ihr meint, mein Rezept funktioniert nicht, mein Ohr hört nicht, mein Auge sieht nicht, meine Garantie gilt nicht? Ich sag euch mal, was ihr da macht: Ihr fastet – mit Fäusten. Ihr hört auf, zu essen, ihr werdet hungrig, und dann werdet ihr gereizt. Stress bis zum Gehtnichtmehr. Scheinheilig erscheint ihr im Tempel vor mir – nachdem ihr euch zu Hause in übelster Laune gezankt und verprügelt habt. Ihr gönnt euch nichts Gutes, ihr tut einander Böses, ihr helft euch nicht, sondern keift einander an und lebt in Hass und Groll, ihr denkt und redet Böses übereinander. Nach außen hin zieht ihr Sack und Asche an, aber euer Herz ist nackt und bloß, voller Selbstsucht und Selbstgerechtigkeit.

Ja, und dann, dann packt der Herr wirklich aus: Ihr wollt meine Gnade – und seid doch selber unbarmherzig wie ein Backstein. Ihr fastet so fromm – und  geht dann zur Arbeit und unterdrückt eure Arbeiter. Ihr lobt mich – und schimpft und flucht auf sie und beutet sie aus. Ihr nehmt ihre Arbeit und gebt ihnen einen Hungerlohn. Ihr fordert lange Stunden und gebt karges Brot. Ihr Leben lang arbeiten sie mit gebeugtem Rücken für euch; wenn sie Rücken-probleme haben, feuert ihr sie. Und zu Hause? Eure Familie und Verwandten kommen zu euch und bitten um Hilfe, weil sie leiden, und ihr stört euch nicht dran. Tut uns leid, wir können nicht helfen. Und in der Gemeinschaft? Ihr lebt im Überfluss und eure Mitmenschen im Mangel. Nicht genug zu essen, nicht genug Kleidung, sie kommen nicht über die Runden. Das ist euer Rezept! Und dann kommt ihr scheinheilig in mein Haus und redet fromm daher, euer Fasten soll ich sehen – aber ihr meint, ich sehe nicht, was ihr in euren Familien, in der Arbeit und Gemeinschaft alles macht? Für wen haltet ihr mich eigentlich? Ja, es stimmt, diese Worte richtete er damals an das Volk Israel. Aber Gottes Wort bleibt Gottes Wort. Und uns hat es auch was zu sagen. Der Herr lässt sich nicht hinters Licht führen, er lässt sich nicht veralbern, er lässt sich nichts vormachen, er sieht alles, was wir tun, im Alltag und zu Hause.

Es wird die Geschichte erzählt von einem Farmer mit einem künstlichen Auge. Nun hatten seine Farmarbeiter die Gewohnheit, dass sie nicht immer so fleißig arbeiteten, wie sie es sollten. Nun waren die Arbeiter recht abergläubisch, und da kam der Farmer auf einen Gedanken: Als er anderweitig zu tun hatte und nicht auf die Arbeiter aufpassen konnte, nahm er sein künstliches Auge heraus und legte es oben auf einen Zaunpfosten und sagte ihnen: Nun arbeitet fleißig, mein Auge lasse ich hier, ich sehe alles, was ihr macht. Und so fuhr er davon. Als er wiederkam, war nicht viel Arbeit geschehen. Das Auge war immer noch da. Aber es hatte sich jemand von hinten herangeschlichen und einen Hut darüber gehängt. Und damit konnte das Auge nicht mehr „sehen.“ Ihr Lieben, wir meinen leicht, Gott schaut auf uns, wenn wir am Gottesdienst teilnehmen, wenn wir beten. Aber dass er tatsächlich auch sieht, wie wir mit unseren Mitmenschen in der Familie, bei der Arbeit, im Alltag umgehen, was wir ihnen tun – und nicht tun – das sieht er alles. Und er hat kein künstliches Auge. Bis ins Herz sieht er hinein. So spricht der Herr: Wenn jemand spricht: Ich liebe Gott, und hasst seinen Bruder, der ist ein Lügner. Denn wer seinen Bruder nicht liebt, den er sieht, der kann nicht Gott lieben, den er nicht sieht. (1. J 4)

Der Herr macht deutlich: Er fällt nicht darauf hinein, wenn man sich selbst vor Gott als fromm und gerecht hinstellt – und es zugleich im Alltag an Liebe und Barmherzigkeit gegenüber anderen Menschen fehlen lässt. Es ist schon erstaunlich, woran Gott hier die Sünde seiner Kinder festmacht: daran, dass sie so tun, als ob der Umgang mit dem Nächsten nichts mit dem Glauben zu tun hätte, daran, dass sie glauben, der Umgang mit den Ärmsten und Schwächsten in der Gesellschaft habe nichts mit ihrer Beziehung zu Gott zu tun. Wer sich mit seinem Fasten nur auf sich selber und Gott konzentriert, an dessen Fasten hat Gott in der Tat kein Gefallen, ja, dessen Gottesdienste ekeln Gott. Das Leben mit dem heiligen Gott ist eben kein Backprojekt.

Am kommenden Mittwoch beginnt die Fastenzeit. Wie willst du in diesem Jahr die Fastenzeit begehen? Vielleicht fasten einige von uns tatsächlich, essen weniger, oder verzichten eine Zeitlang auf dieses oder jenes, um mehr Zeit zum Gebet zu haben. Das ist sinnvoll und gut. Dadurch kann dem Appetit und der lauten Geschäftigkeit des Lebens gezeigt werden, wer unser Leben wirklich bestimmt, damit wir stille werden und aufs Neue erkennen, dass Er Gott ist. Aber zu glauben, dass wir durch das Fasten Gott beeindrucken können, ist fehl am Platz. Das Fasten brauchen wir – nicht er.

Das ist es doch gerade: Wir brauchen nicht zu fasten, um Gott gnädig zu stimmen, damit er seinen Segen schenkt. Wir brauchen nicht zu fasten, um Gott dazu zu bewegen, dass er sich uns naht, wie es die Israeliten damals dachten. Gott ist uns doch schon längst nahe gekommen in seinem Sohn Jesus Christus. Er ist zu uns Sündern gekommen, hat unser kaputtes Verhältnis zu ihm, Gott, in Ordnung gebracht, als er für uns am Kreuz gestorben ist. Nein, ich faste nicht, um etwas bei mir oder bei Gott zu erreichen, sondern ich faste, weil Gott bei mir schon längst erreicht hat, was er wollte, weil er mich schon längst zu seinem geliebten Kind gemacht hat.

Und dann muss ich eben nicht mehr beim Fasten zuerst und vor allem darauf achten, was mir das bringt. Dafür hat Christus schon das Nötige getan. Sondern dann kann ich mich auf Gottes Anleitung zum rechten Fasten einlassen, ohne Angst zu haben, ich würde etwas verpassen oder verlieren. Ja, ich gebe zu: Was Gott uns hier als Anleitung zum rechten Fasten gibt, das bleibt nicht schön allgemein, sondern ist ganz konkret: [6f] Wir sollen gerechte Arbeitspraxis haben, uns um Bedürftige kümmern, wo wir Gelegenheit haben. Das fängt bei den eigenen Verwandten an – entzieh dich nicht deinem Fleisch und Blut! –  und  erstreckt sich aber auch auf den ganzen Bekanntenkreis, auf Menschen, die wirklich leiden und auf Hilfe angewiesen sind.

Jetzt denken wir vielleicht, Gott hackt aber hier auf uns herum. Er sieht nur all das Böse. Aber das stimmt nicht. Er ruft uns zur Buße, weil wir das brauchen. Das Wunderbare ist doch dies: In der Vergebung durch Christi Blut sieht er gerade nicht auf das Böse. Im Gegenteil, seinen vergebenen Kindern erkennt Gott jede Liebestat an, die wir Bedürftigen tun – rechnet sie sogar so hoch an, als hätten wir sie ihm selbst getan. Das Brot, das du dem Hungrigen gibst, das gibst du deinem Heiland. Die Schulung, die unsere Gemeinde durch das Schülerheim Kindern ermöglicht, die sieht der Herr und rechnet sie der Gemeinde an als eine Liebesgabe an ihn. Die Pflege, die unser Altenheim Menschen gibt, die rechnet er als rechtes Fasten an. Es sind mehrere Pastoren in unserer Kirche, die sich das Studium nur leisten konnten, weil der Kirchdorf Trust ihnen half. Und ich schweige hier ganz von den vielen persönlichen Liebesdiensten – immer wieder höre ich von Leuten aus der Gegend, wie sie Gemeindeglieder mit Namen nennen, die ihnen auf den verschiedensten Weisen ganz unauffällig Gutes tun, Großzügigkeit erweisen. Dazu macht der Herr Mut. Denn was man da tut, hat für die Ewigkeit bleibenden Wert. Dein Vater, der ins Verborgene sieht, wird dir’s vergelten öffentlich. (Mt 6) Hier sagt er: [9]. Diese Liebe zeigt er uns täglich – schenkt sogar gutes Brot denen, die nur Backsteine backen können. Erstaunlich. Amen.


ESTOMIHI (Mit sehenden Augen)

Wochenspruch
Seht, wir gehen hinauf nach Jerusalem, und es wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.

Lukas 18, 31

Introitus – Nr. 20 (Psalm 31, 3b. 4 u 2)

Epistel

Wenn ich mit Menschen- und mit Engelzungen redete und hätte die Liebe nicht, so wäre ich ein tönendes Erz oder eine klingende Schelle. Und wenn ich prophetisch reden könnte und wüsste alle Geheimnisse und alle Erkenntnis und hätte allen Glauben, so dass ich Berge versetzen könnte, und hätte die Liebe nicht, so wäre ich nichts. Und wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und ließe meinen Leib verbrennen, und hätte die Liebe nicht, so wäre mir’s nichts nütze. Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. Die Liebe hört niemals auf, wo doch das prophetische Reden aufhören wird und das Zungenreden aufhören wird und die Erkenntnis aufhören wird. Denn unser Wissen ist Stückwerk, und unser prophetisches Reden ist Stückwerk. Wenn aber kommen wird das Vollkommene, so wird das Stückwerk aufhören. Als ich ein Kind war, da redete ich wie ein Kind und dachte wie ein Kind und war klug wie ein Kind; als ich aber ein Mann wurde, tat ich ab, was kindlich war. Wir sehen jetzt durch einen Spiegel ein dunkles Bild; dann aber von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich stückweise; dann aber werde ich erkennen, wie ich erkannt bin. Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen.

1. Korinther 13, 1 – 13

Hauptlied
Ein wahrer Glaube Gotts Zorn stillt 287
Lasset uns mit Jesus ziehen 304

Evangelium

Jesus fing an, seine Jünger zu lehren: Der Menschensohn muss viel leiden und verworfen werden von den Ältesten und Hohenpriestern und Schriftgelehrten und getötet werden und nach drei Tagen auferstehen. Und er redete das Wort frei und offen. Und Petrus nahm ihn beiseite und fing an, ihm zu wehren. Er aber wandte sich um, sah seine Jünger an und bedrohte Petrus und sprach: Geh weg von mir, Satan! denn du meinst nicht, was göttlich, sondern was menschlich ist. Und er rief zu sich das Volk samt seinen Jüngern und sprach zu ihnen: Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach. Denn wer sein Leben erhalten will, der wird’s verlieren; und wer sein Leben verliert um meinetwillen und um des Evangeliums willen, der wird’s erhalten. Denn was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne und nähme an seiner Seele Schaden? Denn was kann der Mensch geben, womit er seine Seele auslöse? Wer sich aber meiner und meiner Worte schämt unter diesem abtrünnigen und sündigen Geschlecht, dessen wird sich auch der Menschensohn schämen, wenn er kommen wird in der Herrlichkeit seines Vaters mit den heiligen Engeln.

Markus 8, 31 – 38


liturgische Farbe: grün

Festzeit: Vorfastenzeit

Wochenspruch: Lk 18,31

Wochenpsalm: Ps 31a

Eingangspsalm: Ps 31

Epistel: 1. Kor 13,1-13

Evangelium: Mk 8,31-38

Predigttext: Lk 10,38-42

Wochenlied: 413 und 384

Erklärung zu den Perikopen:

Die biblischen Predigttexte sind aufgeteilt in die Perikopenreihen I bis VI. Jede Reihe gilt – beginnend mit dem 1. Advent – fortlaufend für ein ganzes Kirchenjahr (aktuelle Reihe = III). Die einzelnen Reihen haben verschiedene Schwerpunkte (Evangelien, Briefe usw.)

I(Evangelium): Mk 8,31-38

II: 1. Kor 13,1-13

III: Lk 10,38-42

IV: Amos 5,21-24

V: Lk 18,31-43

VI: Jes 58,1-9a