Pfingsten (Die Kirche des Geistes) – 2024

Schön, schöner, am schönsten… Rot, röter, am rötesten… Bald, bälder, am bäldesten… Tot, toter, am totesten? Das ist sprachlich sogar korrekt, aber in Wirklichkeit ein Ding der Unmöglichkeit. Toter als tot geht es ja gar nicht. Aber so sieht’s aus im tiefen Tal der Toten, in dem Hesekiel steht. Gott der Herr führt Hesekiel im Geist in ein weites Tal voller Totengebeine. Er steht nicht nur zwischen toten Leichnamen, sondern es sind verstreute, total vertrocknete Knochen. Wahrscheinlich hatte es eine Schlacht gegeben, einen heftigen Kampf, ihre Feinde hatten sie niedergemacht, sie waren gefallen. Und nach der Nacht nach der Schlacht lagen sie immer noch da. Denn es war keiner, der die Zeit hatte oder die Kraft hatte oder die Liebe hatte, sie zu begraben. Und dann geschah, was mit Leichnamen geschieht, und die Zeit verging, und wilde Tiere kamen und der Wind wehte und brachte alles durcheinander. Und nun liegen sie schon so lange da, dass alles buchstäblich knochentrocken ist. Es ist kein Saft mehr da, kein Lebenssaft mehr übrig. Trocken, trockener, am trockensten. Verstreut, verstreuter, am verstreutesten. Tot, tot, tot. Und der Herr spricht zu Hesekiel: [3a]

 

Es ist das Volk Israel, das so zerschlagen da liegt. Lange schon hatte Gott gemahnt und gedroht, um es zu verhindern, damit es nicht so weit kommen sollte: „ich will die Leichname der Israeliten vor ihre Götzen hinwerfen und will eure Gebeine um eure Altäre her verstreuen.“ So steht’s in der 1. Hälfte vom Buch Hesekiel, da geht es fast ausschließlich um Gottes Vorwürfe und Tadel an sein Volk wegen Untreue, Abfall, Götzendienst. Dann kam es zur Belagerung Jerusalems. Jahrelang hatten die Propheten das Volk Gottes zur Umkehr ermahnt, um nicht alles zu verlieren. Aber das Volk hatte die Propheten gut und gerne ignoriert. Und so zog Gott einen Schlussstrich und machte seine Drohung der Zerstörung wahr. Viele starben tatsächlich, als die Babylonier kamen. Andere starben unterwegs auf dem langen Fußmarsch in die Verbannung nach Babylon. Und nun saß der Rest schon mehr als 10 Jahre in der Gefangenschaft, ihre Existenz in Schanden, ihre Heimat in Trümmern, ihre Hoffnung in Scherben, ihr Mut dahin. Hesekiel sieht und spürt und steht mitten im trockenen Knochenfeld. Und Gott sagt zu ihm: „Hesekiel, weißt du, was sie sagen? Sie sagen: ‚Unsere Gebeine sind verdorrt, und unsere Hoffnung ist verloren, und es ist aus mit uns.‘“ So fühlten sie sich. Sie wussten, dass sie das verdient hatten. Es war über sie gekommen. Manchmal ist „alles verloren“ nicht ein guter Wein, sondern eine bittere Wahrheit.

 

[3] Dann passiert es. Hesekiel muss predigen. Knochen anpredigen. Und er tut es. Und die Knochen hören. Gott der Herr, der durch Bileams Esel sein Wort sprechen kann, Gott, der zu einem Wurm spricht, dass er Jonas Schattenpflanze abbeißt, der kann auch so reden, dass Knochen zuhören müssen. Diese Macht hat er. Durch Hesekiels Predigt beginnt das Totenfeld zu rascheln und sich zu regen, die Knochen fügen sich aneinander, Bein an Fuß und Arm an Hand. [8] Das Wort „Odem“ irritiert uns oft. Warum steht da nicht einfach: Atem? Weil Odem mehr bedeutet als Atem. Atem, das ist die Luft in den Lungen. Odem, das ist der Hauch aus Gottes Mund. Odem, das ist der Hauch des Lebens, den Gott in den Klumpen Erde bläst, und Adam lebt. Dieser Odem muss in die toten Menschen kommen, dass sie leben. Aber wie? Durch die Predigt! Der Prediger steht da und redet den Odem Gottes in sie und sie werden lebendig und stehen auf ihren Füßen. [12-14]

 

Das machtvolle, kraftvolle Wort des lebendigen Gottes tut das. Knochen und Sehnen müssen gehorchen, Tote lebendig werden. Diese Vision Hesekiels sah voraus, was Gott 60 Jahre später machen würde: das Volk Israel wieder heimschicken ins gelobte Land. Und diese Vision Hesekiels sieht voraus, was Gott der Herr machen wird am Ende der Tage, am jüngsten Tag, wenn sein Wort erschallt und die Toten auferstehen werden, und seien ihre Gebeine noch so durcheinander oder verschollen oder in den Meereswellen versunken. Gott wird reden und die Knochen gehorchen in der Auferstehung aller Toten am Ende der Zeit. Dieser Gott ist unter uns lebendig, und sein Wort sendet er immer noch aus durch menschliche Prediger, Er spricht und es geschieht. Das ist das Pfingstgeschehen: Dass der lebendige und ewige Herr Himmels und der Erde durch die Predigt von seinen menschlichen Dienern Kirche baut, dass sein lebensspendender Odem im heiligen Geist durch menschliche Predigten in Jesu Namen auf Menschen ausgegossen werden, die leben, und sind doch tot, dass sie Buße tun und leben, denn das Wort des Herrn, sein Gesetz, sein Evangelium richtet sie auf ihre Füße und durch die Predigt des Geistes kommt Vergebung der Sünde und die Taufe werden Tote lebendig und Glaube beginnt.

Aber dieser Glaube lebt nicht immer im Licht der Auferstehung. Oft leidet er im Tal des Todes. [3a] Hesekiel steht da, umgeben von Gebeinen, aber auch umgeben von all den Fragen, die menschliches Leid aufwirft. Vielleicht liegt dein Leben vor dir wie dieses Tal der Knochen, wie das Totenfeld. Lauter Kaputtsein und Durcheinander und das Gefühl, dass niemand mehr etwas tun kann. Das Empfinden, dass deine Ehe tot ist. Dass deine Liebe zu deinem Ehepartner gestorben ist, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Die Ehe ist staubig, trocken und tot. Oder du denkst an deinen Sohn oder deine Tochter, die auf Abwege geraten ist, sich mit den falschen Leuten eingelassen hat, sich in bösen Kreisen bewegt. Oder das Empfinden, dass alles zu spät ist, dass du nur noch in Abhängigkeit lebst. Keine Hoffnung mehr, überhaupt keine Hoffnung. Du kommst einfach nicht aus dem Tief heraus, in dem du existierst.

 

„Du Menschenkind, können diese Gebeine wieder lebendig werden?“ Diese Frage ist schwer. Denn es geht um deine Zukunft. Sie fordert dich auf, dein Leben für Gott zu öffnen, und selber aus deiner jetzigen Perspektive einen Blick auf das Reich Gottes zu werfen. Und zu sehen – das zu sehen, das erfordert Glauben. Der Glaube ist wie ein Faden. Er ist dünn, fast durchsichtig, und manchmal können wir ihn nicht einmal sehen, aber er ist da und lebt aus Gottes Wort und hält dich fest, wenn deine Welt auseinanderfällt.

 

„Du Menschenkind, können diese Gebeine wieder lebendig werden?“ Hesekiel sagt nicht Nein. Er schließt nicht die Augen und lebt in der Verzweiflung und beschränkt seine Welt auf das, was er sieht. Hesekiel sagt auch nicht Ja. Er schließt nicht die Augen in einer Art blinder Akzeptanz der Wege Gottes und sagt dann: „Wenn du meinst“. Nein, Hesekiel steht unter Knochen mit weit aufgerissenen Augen und starrt Gott direkt an und sagt: „Du allein weißt es, Herr, mein Gott! Du weißt es.“ Und in dieser Antwort steckt der Glaube.

 

Menschliches Leid zeigt uns auch heute noch die Grenzen unserer Macht. In dieser Welt gibt es manchmal Leiden, die sind schlimmer als der Tod. Es gibt einen lebendigen Tod, der die Menschen trifft, die man liebt. Trauma, Missbrauch in der Kindheit, der in deinen Erinnerungen bleibt. Eine Krankheit, die einem das Leben nimmt, nicht auf einmal, sondern Atemzug für Atemzug. Psychische Belastungen. Das sind die Dinge, gegen die wir kämpfen. Täglich sind wir machtlos gegen den Tod und den Teufel. Und täglich sind wir auf Gott angewiesen. Doch nun schickt Gott einen anderen Propheten in dieses Totenfeld: seinen Sohn Jesus. Nicht mehr das Menschenkind, sondern den Menschensohn. Nun steht Jesus vor dieser Frage: Können diese Gebeine leben? Aber dieses Mal hören wir nicht die Antwort: „Du allein weißt es.“ Nein, dieses Mal sehen wir die Antwort in Jesus Christus. Er ist der Herr, er ist Gott, und er allein weiß es, er allein kennt die Macht, die Gott über den Tod, den Teufel, Satan, die Hölle und all diese Dinge hat – Jesus allein kennt die Macht, die Gott hat, um sogar aus Friedhöfen und Totenfeldern Leben zu bringen. Jesus kommt in diese Welt, nimmt unser Fleisch und Knochen und Sehnen an sich und kämpft gegen diese Dinge, er stirbt am Kreuz, um sie zu vernichten und Satan zu besiegen und aufzuerstehen, um dir das Leben in Jesus zu bringen, denn in diesem Leben bringt er Hoffnung aus dem Leid, Freude aus der Verzweiflung, Leben aus dem Tod, eine neue Schöpfung aus den Scherben deiner Welt.

 

Sein Wort predigt Knochen an. Und Herzen. Dass sie leben. Dass sie glauben. Sein Wort ruft uns neuen Odem, Gottes Lebenshauch in die Lungen und in die Seelen und den Verstand. Dass sie Luft bekommen. Dass sie atmen. Sein Wort schenkt Umkehr und Vergebung in die Ehen und das Leben der Kinder und Lieben. Dass sie neu werden. Dass sie Gottes Wege einschlagen. Sein Wort sendet den Geist in seine Kirche, dass der Lebensodem Gottes Menschen vom Tode zum Leben ruft und der Herr seine Kirche baut und die Zahl der Auserwählten voll wird und der Herr kommt und das Leben beginnt. Schön, schöner, am schönsten… Bald, bälder, am bäldesten… Lebendig, lebendig, lebendig. Amen.

 

Wir beten:

Lass mich hören Freude und Wonne,

dass die Gebeine fröhlich werden, die du zerschlagen hast.

Verbirg dein Antlitz vor meinen Sünden,

und tilge alle meine Missetat.

Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz

und gib mir einen neuen, beständigen Geist.

Verwirf mich nicht von deinem Angesicht,

und nimm deinen heiligen Geist nicht von mir.

Erfreue mich wieder mit deiner Hilfe,

und mit einem willigen Geist rüste mich aus.

Psalm 51,8-12


Pfingsten (Die Kirche des Geistes)

Wochenspruch
Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.

Introitus – Nr. 39 (oder Nr. 40) (Weisheit 1, 7; Psalm 118, 16)

Epistel

Als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem Heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen. Es wohnten aber in Jerusalem Juden, die waren gottesfürchtige Männer aus allen Völkern unter dem Himmel. Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden. Sie entsetzten sich aber, verwunderten sich und sprachen: Siehe, sind nicht diese alle, die da reden, aus Galiläa? Wie hören wir denn jeder seine eigene Muttersprache? Parther und Meder und Elamiter und die wir wohnen in Mesopotamien und Judäa, Kappadozien, Pontus und der Provinz Asien, Phrygien und Pamphylien, Ägypten und der Gegend von Kyrene in Libyen und Einwanderer aus Rom, Juden und Judengenossen, Kreter und Araber: wir hören sie in unsern Sprachen von den großen Taten Gottes reden. Sie entsetzten sich aber alle und wurden ratlos und sprachen einer zu dem andern: Was will das werden? Andere aber hatten ihren Spott und sprachen: Sie sind voll von süßem Wein. Da trat Petrus auf mit den Elf, erhob seine Stimme und redete zu ihnen: Ihr Juden, liebe Männer, und alle, die ihr in Jerusalem wohnt, das sei euch kundgetan, und lasst meine Worte zu euren Ohren eingehen! Denn diese sind nicht betrunken, wie ihr meint, ist es doch erst die dritte Stunde am Tage; sondern das ist’s, was durch den Propheten Joel gesagt worden ist: „Und es soll geschehen in den letzten Tagen, spricht Gott, da will ich ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch; und eure Söhne und eure Töchter sollen weissagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen, und eure Alten sollen Träume haben; und auf meine Knechte und auf meine Mägde will ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie sollen weissagen.”

Apostelgeschichte 2, 1 – 18

Hauptlied Komm, Heiliger Geist, Herre Gott 215

Evangelium

Jesus sprach zu seinen Jüngern: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen. Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat. Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin. Aber der Tröster, der Heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe. Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

Johannes 14, 23 – 27