Sexagesimae (Viererlei Ackerfeld) – 2021

Das Baby ist da! Freudig bitten die Eltern um die Taufe, und die findet auch statt, aber – nur der Papa darf mit der Familie in die Kirche kommen, die Mama muss zu Hause bleiben und darf erst 6 Wochen später wieder zur Kirche gehen. Eine Sitte war das. Kirchgang hieß das. Der Mama wird als Grund dafür gesagt, sie sei „unrein“. Vor 50 Jahren galt diese Sitte auch noch hier: Erst 6 Wochen nach der Geburt kam der „Kirchgang“, dann ging während des Gottesdienstes die Mutter mit dem Baby auf dem Arm nach vorn vor den Altar, es wurde ein Dankgebet für sie gesprochen, und ab dann galt sie wieder als „rein“.

Eine Mutter, die durch Geburt unrein wird – unserem Denken ist dieser Brauch fremd. Aber er findet sich in der Lüneburger Kirchenordnung von 1643, auf die auch unsere Gemeindeordnung sich z.T. beruft. Da wird die Ordnung der sog. „Sechswöcherinnen“ geregelt. Sechswöcherinnen, das sind Mütter von Kindern 6 Wochen alt und jünger. Es hieß: Ja, die Zeremoniegesetze des AT treffen nicht auf junge christliche Mütter zu, aber sie sollen dennoch erst nach 6 Wochen zur Kirche, wegen „grössere Leibes-Schwachheit, Aergerniß zu verhüten“ und weil „solches dem natürlichen Recht gemäß und billig ist“. Gott sei Dank hat sich seit 1643 vieles geändert in unserem Verständnis vom natürlichen Recht und dem menschlichen Körper, und so wird diese Sitte nicht mehr unter uns praktiziert. Und das ist gut so.

Heute hat Maria Kirchgang. Das war nicht nur Sitte, sondern Gesetz. Mit 8 Tagen wurde Jesus in Bethlehem beschnitten, damit wir nicht beschnitten werden müssen, sondern alle durch seine Beschneidung in der Taufe Kinder Gottes werden. Aber mit 40 Tagen musste das Jesuskind in den Tempel gebracht werden. Josef und Maria wohnten damals immer noch in Bethlehem bei Verwandten; als Jesus 40 Tage alt ist, gehen sie die 9 km zu Fuß und halten „Tempelgang“. Bis dahin durfte Maria gar nicht in die Öffentlichkeit gehen, war wohl bei der Beschneidung auch nicht dabei, denn sie galt als unrein.

Wieso unrein? Nicht etwa wegen des natürlichen Rechts oder weil altmodische Männer sich das so einfallen ließen, sondern weil Gott der Herr das so bestimmt hatte: Das Blut der Geburt machte die Mutter kultisch unrein, 3. Mo 12. Ihr Lieben, Blut galt im AT als gefährliche Substanz. Denn im Blut treffen sich Leben und Tod. „Des Leibes Leben ist im Blut“ heißt es (3. Mo 17,11), wem das Blut durch die Adern fließt, der lebt. Aber wenn das Blut vergossen wird, bedeutet das den Tod. Gottes Gesetz sagt: Wer sündigt, muss sterben. Deswegen muss für Sünde Blut fließen. Deswegen war das Blut beim Opfer so wichtig. Denn Gott war bereit, den Tod und deswegen das Blut eines Tieres anstelle des Menschen anzunehmen, damit er nicht sterben brauchte, damit er Vergebung bekam. Wo immer Leben und Tod aufeinandertreffen, ist Ehrfurcht gefordert, da ist die Grenze zwischen heilig und unheilig, zwischen unrein und rein. Eine Geburt galt als Grenze zwischen Tod und Leben. Das Blut der Geburt machte im AT Gesetz die Mutter kultisch unrein, denn durch Blut wird ein unreiner Sünder zur Welt gebracht; nach 40 Tagen etwa beginnt wieder ihre monatliche Regel, die Mutter geht in den Tempel, und dort macht das Blut des Opfertieres nach Gottes Gebot sie wieder rein. Das läuft hier im Hintergrund.

Also, 40 Tage nach der Geburt, Tempelgang. Für Maria wird ein Reinigungsopfer gebracht, damit sie wieder kultisch rein wird. Aber im Fall ihres Sohnes war das ja eigentlich absurd. Wie sollte der, der rein von aller Sünde war, seine Mutter mit seiner Geburt unrein machen? Hier läuft es zum ersten Mal in der Weltgeschichte anders herum: Hier wird der wahrhaft Reine geboren, der auch seine Mutter rein macht. Auf der anderen Seite war Jesus als erstgeborener Sohn der Familie eigentlich zum Tempeldienst verpflichtet. Doch diese Aufgabe hatten von alters her die Leviten übernommen, und so wurden die erstgeborenen Jungs einer Familie bald nach ihrer Geburt im Tempel von diesem Dienst gleichsam freigekauft – Josef und Maria mussten für Jesus als erstgeborenen Sohn im Tempel Geld bezahlen. Mit diesem Geld wurde dann der Dienst der Leviten im Tempel unterstützt. Doch wie könnte Jesus vom Opferdienst in Wirklichkeit freigekauft werden, wo er doch auf dem Wege ist, nicht weniger als sein eigenes Leben als Opfer für die Sünden aller Menschen hinzugeben? Wir ahnen, dass mit Jesu Geburt und Jesu Leben und Jesu Tod alles anders wird. Das ganze Gesetz Mose zeigt auf ihn hin. In ihm wird das ganze Gesetz erfüllt.

Ungewöhnlich ist es, was hier geschieht, denn ungewöhnlich ist der, der da in den Tempel kommt, weil er nicht weniger als der Hausherr ist. So zeigt es auch Simeon, der so lange auf das Kommen dieses Hausherrn gewartet hatte und ihn bei seiner Ankunft auf die Arme nimmt und das Lied singt, das uns allen so vertraut ist und hoffentlich auch vertraut bleibt. Da singt der Simeon davon, dass dieser Jesus Gottes Heil für alle Völker ist, ein Licht zur Erleuchtung der Heiden und zum Preis seines Volkes Israel.

Als der Simeon diese Worte sang, da hatte er gewiss die Worte aus dem Buch des Propheten Jesaja im Hinterkopf, die wir eben gehört haben: Da spricht er, der Knecht Gottes, derselbe, den Simeon da auf seinen Armen hält, da macht Gott schon viele hundert Jahre vor seiner Geburt deutlich, wer der ist, den er zu seinem Volk senden wird: Gleich zweimal betont der Knecht Gottes hier, dass Gott ihn schon von Mutterleib an berufen hat. Ja, seine Geschichte beginnt, schon bevor er geboren wurde. Der, den Simeon da auf seinen Armen hält, ist tatsächlich schon als kleines Kind der Retter seines Volkes.

„Von Mutterleib an“ – Diese Worte haben in unserer heutigen Zeit noch einmal eine besondere Bedeutung, in der das Leben von Kindern im Mutterleib immer mehr bedroht wird, weil sie einfach „im Wege“ sind, in unserer Zeit, in der man immer mehr davor die Augen verschließt, dass ungeborene Kinder eben nicht bloß ein Zellklumpen, nicht bloß „werdendes Leben“, sondern Menschen sind, Menschen mit einer eigenen Würde, ja, Menschen, deren Leben von Gott selber gewollt ist. Ja, Sünder sind sie, aber der Herr Jesus kommt eben gerade für Sünder – nur für Sünder. Weil Jesus selber schon als Fötus Gottes Knecht war, setzen auch wir uns für das Leben ungeborener Kinder ein – und vergessen zugleich doch nicht, dass auch jedes geborene Leben von Gott gewollt ist, auch und gerade das Leben der Menschen, das in unserm Land mit staatlichen Mitteln, mit den Steuern, die du und ich zahlen, abgetrieben wird.

Dieser Knecht Gottes verbreitet seine Botschaft nicht mit Krieg und Gewalt – nein, allein sein Mund ist ein scharfes Schwert. Allein mit seinem Mund übt er seine Herrschaft aus, erreicht mit seinem Wort die Herzen der Menschen. Damit setzt er sich auch dem Risiko aus, abgelehnt, ausgelacht, beiseitegeschoben zu werden. Die Erfahrung, vergeblich gearbeitet zu haben, die Erfahrung, dass alle Mühe und Anstrengung am Ende doch umsonst war – die machen nicht nur Pastoren heute immer wieder, die hat auch er, der Knecht Gottes, damals schon gemacht – so dachte er jedenfalls. Und doch nutzt Gott in Wirklichkeit auch scheinbare Misserfolge, nutzt auch Menschen, die scheinbar scheitern, um durch sie sein Heil auszubreiten.

Und genau das ist ja auch die zentrale Botschaft, die der Knecht Gottes hier verkündigt: Er ist nicht nur für das Volk Israel da, sondern Gott macht ihn zum Licht der Völker, dass sein Heil bis an die Enden der Erde reicht. Nein, es ist völliger Unsinn, wenn immer wieder behauptet wird, im Alten Testament ginge es nur um das Volk Israel und um sein Heil – alle anderen Völker blieben draußen vor. Nein, schon im Alten Testament macht Gott ganz deutlich, dass sein Heilswille allen Menschen gilt, weit über Israel hinaus. Aber Gott will diese anderen Menschen alle über das Volk Israel erreichen, nicht an Israel vorbei. Genauso singt es dann auch Simeon, als er den kleinen Jesus auf den Armen hält. Ja, da sieht er ihn nun: diesen Knecht Gottes, ein Licht zu erleuchten die Heiden – und zum Preis deines Volkes Israel. Wenn wir als Nichtjuden Gott für seine Rettungstat danken, wenn wir ihm dafür danken, dass er auch uns in der Taufe in sein Volk aufgenommen hat, dann können wir dies nur so tun, dass wir zugleich Gott dafür danken, dass er diese Rettung in seinem Volk Israel vorbereitet und durchgeführt hat.

Am Kreuz nämlich ändert sich alles. Da zahlt der erstgeborene Sohn Gottes dafür, dass alle anderen freigekauft und ebenfalls Kinder Gottes werden. Da stirbt der Hausherr des Tempels, damit er in seiner Auferstehung für Juden und Heiden und alle Welt selbst zum Tempel wird, zur Grenze, zum Begegnungsort zwischen Gott und Mensch, Mensch und Gott, in Jesus wohnt Gott bei uns und wir bei ihm. Am Kreuz finden wir die Grenze zwischen Tod und Leben schlechthin. Da kommt das eine Opfer, das Blut, das für alle Sünden der Welt bezahlt, ein für allemal, sodass kein weiteres Opfer für Sünden nötig ist. Da vergießt der Reine sein Blut für uns, Frauen und Männer, Mütter und Väter, Mädchen und Jungs, damit wir nie mehr aus Unreinheit von Gottes Haus fernbleiben müssen, sondern alle in ihm rein gemacht, hell gemacht werden.

Ja, hell wird es in unserem Leben, wenn wir heute diesen Tag der Darstellung des Herrn feiern, wenn wir feiern, dass Jesus auch für uns das Licht ist, zu erleuchten die Heiden. Dieses Licht leuchtet – auch mitten in den dunklen Corona-Zeiten, lässt sich auch durch kein Virus und keinen Lockdown auslöschen. Gott bringt seinen Plan zum Ziel – in unserem Leben genauso, wie er es damals bei Simeon und bei Jesus selbst gemacht hat. Nichts wird ihn davon abbringen können, auch uns zu diesem Licht zu bringen, in dessen Schein einmal endgültig alles menschliche Leid an sein Ende kommen wird.

Soli Deo Gloria Pastor Dr. Karl Böhmer


SEXAGESIMAE (Viererlei Ackerfeld)

Wochenspruch
Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.

Hebräer 3, 15

Epistel

Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Hebräer 4, 12 – 13 Hauptlied Herr, für dein Wort sei hoch gepreist 40 Es wolle Gott uns gnädig sein 245

Evangelium

Als eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu Jesus eilten, redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute. Er aber sprach: Euch ist’s gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch.


liturgische Farbe: grün

Festzeit: Vorfastenzeit

Wochenspruch: Hebr 3,15

Wochenpsalm: Ps 119a

Eingangspsalm: Ps 31

Epistel: Hebr 4,12-13

Evangelium: Lk 8,4-8 (9-15)

Predigttext: Mk 4,26-29

Wochenlied: 196 und 280

Erklärung zu den Perikopen:

Die biblischen Predigttexte sind aufgeteilt in die Perikopenreihen I bis VI. Jede Reihe gilt – beginnend mit dem 1. Advent – fortlaufend für ein ganzes Kirchenjahr (aktuelle Reihe = III). Die einzelnen Reihen haben verschiedene Schwerpunkte (Evangelien, Briefe usw.).

I(Evangelium): Lk 8,4-8 (9-15)

II: Hebr 4,12-13

III: Mk 4,26-29

IV: 2. Kor (11,18.23b-30); 12,1-10

V: Jes 55,(6-9) 10-12a

VI: Apg 16,9-15