Predigt – Nicht deine, sondern seine Gerechtigkeit! 19. Sonntag nach Trinitatis 2025

Als die DDR, das ehemalige Ostdeutschland, damals zusammenbrach, gab es viele Folgen für die Ostdeutschen, u.a. und vielleicht vor allem der Wechsel von einer staatlich geleiteten Wirtschaft zu einer kapitalistischen Wirtschaft. Infolgedessen mussten die Ostdeutschen lernen, mit und für sich selbst zu werben. Früher unter dem Kommunismus wurde für jeden gesorgt, die Regierung sorgte dafür, dass jeder eine Arbeitsstelle hatte. Das änderte sich über Nacht. Nun kam der Wettbewerb ins Spiel. Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit musste jeder nun Reklame machen für seine Fähigkeiten, seine Kenntnisse, seine Qualifikationen, seine Arbeitserfahrung. Wo die Ostdeutschen bislang brav und biedere Untertanen gewesen waren, mussten sie nun innerhalb kürzester Zeit lernen, sich selbst zu verkaufen.

Willkommen in der realen Welt!, könnte man meinen. Die freie Marktwirtschaft basiert darauf, dass Menschen über bestimmte Fähigkeiten verfügen und diese potenziellen Arbeitgebern zuzuordnen, die bereit sind, dafür gutes Geld zu bezahlen. Dafür musst du dich mit deinen Fähigkeiten bewerben, denn sonst bekommst du die Anstellung nicht, die du brauchst. Dein Wert, zumindest dein „Marktwert“, wird also durch das definiert, was du geleistet hast, deine gegenwärtigen Fähigkeiten und dein Potenzial, auch in Zukunft Arbeit zu leisten. In gewisser Weise ist daher jeder Lebenslauf (CV), den du schreibst, jede Webseite, über die du dich vermarktest, jedes LinkedIn-Profil, das du von dir erstellst, eine Übung in Werkgerechtigkeit. Und den Lebenslauf zu verschicken, oder dich um eine Arbeitsstelle oder ein Einkommen zu bewerben, bedeutet, mit deinen Leistungen zu prahlen – den früheren, den gegenwärtigen und zukünftigen. Nun ist an einer Wettbewerbsgesellschaft an sich nichts auszusetzen. Im Königreich zur Linken, d.h. in den Dingen dieser Welt ist die Werkgerechtigkeit das vorherrschende Gesetz, dort gilt: du bist, was du tust, du wirst gemessen im Vergleich mit anderen, du bist wert, was du leistest.

So ist es in unserer Gegend doch auch. Wer schlechte Dienste oder Produkte liefert, verliert die Aussicht auf weitere Kunden; wer seine Farm vernachlässigt, dem wird Unfähigkeit nachgesagt; wer nicht fleißig ist, bekommt bald einen schlechten Ruf; wer nichts leistet, wird entlassen. Deine Werke entscheiden über deine Zukunft. Nicht umsonst ermahnt Gottes Wort uns zum Fleiß.

Der Römerbrief aber schildert unsere Stellung nicht vor dem Arbeitsmarkt, sondern vor dem heiligen Gott. Hier geht es – wenn man so will – um das Bewerbungsgespräch mit Gott. Und sofort wird deutlich: Dies ist eine völlig andere Welt! Denn vor Gott ist kein Prahlen, kein Angeben, keine Werbung für die eigenen Leistungen, keine Selbstbehauptung erlaubt, vor ihm verstummt das Reden über Leistungen, unser Selbst-Verkaufsgespräch kommt zu Ende, vor Gott haben wir keine marktfähigen Talente, mit denen wir von ihm bekommen können, was wir wollen: nämlich Gottes Gunst in diesem Leben und im nächsten die ewige Seligkeit. Der Lebenslauf auch der heiligsten Menschen ist vor Gott ein völliger und kompletter Misserfolg, denn was vor der Welt heilig scheint, entlarvt sich vor ihm als scheinheilig. Er hält uns die volle Aufgabenbeschreibung vor – und wir sind sprachlos. Wir fangen an zu diskutieren, zu verhandeln, wir weisen darauf hin, dass niemand Gottes hohe Anforderungen erfüllt oder seinen Ansprüchen entspricht, wir weisen auf die seelische Marktwirtschaft dieser Welt hin und fordern, der Herr solle doch bitte mal realistisch sein und sich an das anpassen, was der Markt ihm bieten kann. Aber er weist uns an die Aufgabenbeschreibung und Geschäftsbedingungen, die wir nicht erfüllen können: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit all deiner Kraft. Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. (Mk 12,30f.) Und dann die furchtbare Folge der Nichteinhaltung: Verflucht sei jeder, der nicht bleibt bei alledem, was geschrieben steht in dem des Gesetzes, dass er’s tue! (Gal 3,10)

Nicht nur das – zu dieser Bewerbung gehört auch eine Hintergrundüberprüfung, weil wir Gottes strenge Anforderungen unser ganzes Leben lang erfüllt haben müssen. Jede Nichteinhaltung von Gottes Gesetz wird uns vorgeworfen. Der Herr führt ein Vorstrafenregister nach dem Maßstab seines Gesetzes, und es ist voll. Seite um Seite um Seite spricht gegen uns. Wir können uns nicht herausreden. Ja, und was nun? Was tun? Wir suchen einen Konkurrenzanbieter, der es nicht so genau nimmt, bei dem gilt, ob wir’s gut gemeint haben, bei dem unsere Fähigkeiten vielleicht doch etwas gelten. Viele versuchen es! Sie suchen nach anderen Göttern, von denen sie bekommen können, was sie wollen. Aber es gibt keinen Konkurrenzanbieter, zu dem wir gehen könnten. Zumindest keinen, der liefern kann, was der Heilige Gott tut: Nicht nur flüchtige Glücksgefühle, sondern ewiges Glück. Nicht nur kurzen Nervenkitzel, sondern ewige Freude. Nicht nur vorübergehende Besserung, sondern ewiges Heil. Kein anderer kann das bieten als er allein. Aber er lässt nicht mit sich reden. Mit ihm kann man nicht verhandeln. Gott setzt seine Maßstäbe für niemanden herab. Denn er braucht uns nicht. Also sitzen wir da als Versager und zerknüllen das Stück Papier, das unseren Wert zu zeigen schien und nun wertlos ist, nachdem wir gesehen haben, was tatsächlich von uns erwartet wird.

Aber Gott schickt dich nicht in deiner Verzweiflung fort. Nein, sondern er steht auf und stellt sich an deine Seite des Bewerbungsgespräches. Alle Konsequenzen deines Versagens, jede Nichteinhaltung seines Gesetzes, jede Vorbestrafung, jeden Mangel, jede Schwäche, jeden Fehler, jede Schuld überschreibt er mit dem Blut Jesu Christi, der als Sühneopfer deine Schuld bezahlt hat. Nicht etwa, weil Gott nun doch seine Maßstäbe herabsetzt. Sondern weil Christus an deiner Stelle allen Maßstäben Gottes gerecht wird. An deiner Stelle sühnt er dein Versagen, Gottes Anforderungen gerecht zu werden. Und so tilgt er mit seinem Tod, seiner Beerdigung und seiner Auferstehung deine Schuld, sodass deine Vergangenheit nun frei von all den Verstößen gegen Gottes Anforderungen ist. So ist nun deine Strafakte durch sein Blut reingewaschen. Gott stellt ihn dir als Stellvertreter. Und so sehen wir, dass Gott, wenn er uns diese Anforderungen stellt, nicht darauf aus ist, uns zu schikanieren, wie wir vielleicht meinen. Indem Gott dir Jesus gibt, siehst du seine Liebe. Er nimmt Christi CV und schreibt deinen Namen drüber. Das ist das Evangelium. Die sollst du hören und glauben. Gott sagt: Du hast die Stelle bekommen. Du bist mein Kind. Du stehst in meiner Gunst. Du bekommst ewiges Leben. Nicht wegen deines erbärmlichen Lebenslaufs, sondern wegen des Lebenslaufs Christi. Die Gerechtigkeit Jesu Christi gilt allen, die an ihn glauben. Und was für eine Erleichterung bedeutet sie! Wir müssen nicht verzweifelt verschwinden, wir müssen nicht mehr verhandeln, wir müssen nichts tun, um seine Gunst zu bekommen. Sondern wir leben aus seiner Gunst als echte, rechte Kinder Gottes. Seine Liebe bestimmt Deinen Wert. Mit seinem Blut kauft Christus Dich los.

Damit wird nicht nur alle Werkgerechtigkeit im Reich zur Rechten ausgehebelt, sondern auch alle Selbstbehauptung. Jede Selbstvermarktung. Alles Prahlen. Jeder Stolz. Deshalb: Lass die linke Hand nicht wissen, was die rechte alles tut. Sondern wir rühmen uns allein des Herrn. Weil er uns gnädig ist, sind auch wir gnädig. So halten wir nun dafür, dass der Mensch gerecht wird ohne des Gesetzes Werke, allein durch den Glauben. In Jesus Christus. Amen.

liturgische Farbe: grün

Festzeit: Trinitatiszeit

Wochenspruch: Jer 17,14

Wochenpsalm: Ps 32

Eingangspsalm: Ps 19, Ps 36, Ps 67, Ps 84, Ps 113

Epistel: Eph 4,22-32

Evangelium: Mk 2,1-12

Predigttext: Mk 1,32-39

Wochenlied: 320


Erklärung zu den Perikopen:

Die biblischen Predigttexte sind aufgeteilt in die Perikopenreihen I bis VI. Jede Reihe gilt – beginnend mit dem 1. Advent – fortlaufend für ein ganzes Kirchenjahr (aktuelle Reihe = III). Die einzelnen Reihen haben verschiedene Schwerpunkte (Evangelien, Briefe usw.).


I(Evangelium): Mk 2,1-12

II: Eph 4,22-32

III: Mk 1,32-39

IV: Jak 5,13-16

V: Joh 5,1-16

VI: 2. Mose 34,4-10