Sexagesimae (Viererlei Ackerfeld) – 2020

SEXAGESIMAE (Viererlei Ackerfeld)

Hes 2,1-5.8-10                                                                                  I.i.

 

1Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, tritt auf deine Füße, so will ich mit dir reden.

2Und als er so mit mir redete, kam Leben in mich und stellte mich auf meine Füße, und ich hörte dem zu, der mit mir redete.

3Und er sprach zu mir: Du Menschenkind, ich sende dich zu den Israeliten, zu dem abtrünnigen Volk, das von mir abtrünnig geworden ist. Sie und ihre Väter haben bis auf diesen heutigen Tag wider mich gesündigt.

4Und die Söhne, zu denen ich dich sende, haben harte Köpfe und verstockte Herzen. Zu denen sollst du sagen: »So spricht Gott der HERR!«

5Sie gehorchen oder lassen es – denn sie sind ein Haus des Widerspruchs –, dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen ist.

8Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Tu deinen Mund auf und iss, was ich dir geben werde.

9Und ich sah, und siehe, da war eine Hand gegen mich ausgestreckt, die hielt eine Schriftrolle.

10Die breitete sie aus vor mir, und sie war außen und innen beschrieben und darin stand geschrieben Klage, Ach und Weh.


Es war einmal vor gar nicht langer Zeit eine Kneipe zwischen zwei Kirchen. Das war lange Wirklichkeit hier in Wartburg. Nun hat die Kneipe dichtgemacht. Die Kirchen aber nicht. Pastor Louis Harms hätte das bestimmt Genugtuung bereitet, dass die Dorfkneipe neben den Kirchen zumachen muss, weil sie nicht mehr genug Zulauf hat. Klar, der Wartburger Hof war mehr als eine Kneipe. Es waren sogar zwei. Und auch ein Hotel mit Restaurant. Schadenfreude ist hier fehl am Platz. Für das Dorf ist es wirklich schade, dass das Hotel nicht mehr da ist. Die meisten unter uns kennen die tragische Geschichte vom Hof. Es ist noch nicht allzu lange her, da wurde der Hof wieder von neuen Eigentümern unter neuem Management neu eröffnet. Ausgefeilte Pläne gab es bestimmt und schöne Träume, man hatte Großes vor. Es wurde viel Geld in das Unternehmen gesteckt. Aber irgendwie funktionierte es nicht. Es gab nicht genug Zulauf, die Zahlen stimmten nicht, und irgendwann mussten die Besitzer es einsehen – wenn die Kundschaft ausbleibt, müssen wir den Hof schließen und verkaufen. Nun, aus einer Geschäftsperspektive müsste man fragen: Haben die Eigentümer vorher mal ein bisschen Marktforschung betrieben, haben sie sich ernsthaft darüber Gedanken gemacht, was sich potenzielle Kunden vor Ort von solch einem Unternehmen wünschen oder wie viele Kunden sie eigentlich bräuchten, damit sich das Geschäft auch lohnt? Und ob das alles hier in Wartburg machbar ist?

Doch an dieser Stelle wollen wir mal den Spieß umdrehen und die gleichen Fragen an unsere Gemeinde richten, die ja neben dem Hof steht. Denn letztlich, so könnte mancher meinen, machen wir in der Kirche scheinbar ja auch nicht viel Anderes als die Orion Gruppe: Wir wollen den Leuten etwas liebmachen, was wir selber für gut und wichtig halten, und das machen wir, ohne vorher zu fragen, ob sich das lohnt, ob wir mit unserer Dienstleistung bei den Leuten ankommen oder nicht, ob wir ihren Interessen und Wünschen entsprechen oder nicht. Wenn wir erst mal Marktforschung betreiben würden, ob die Leute an dem, was wir zu bieten haben, überhaupt interessiert sind, dann könnten wir unsere Kirche hier eigentlich gleich zumachen.

Ein ähnliches Problem hatte damals der Prophet Hesekiel. Hesekiel selbst und seine Frau befanden sich unter den allerersten, die vor der Zerstörung Jerusalems von der Weltmacht Babylon ins Exil verschleppt wurden. Die erste Welle. Da sitzen sie nun in Babylon und warten sehnlichst darauf, möglichst schnell wieder nach Hause zurückkehren zu können. Und da gibt es auch mehrere Propheten, die ihre Marktforschung sehr genau und gründlich betrieben haben. Sie sagen den Menschen nämlich genau das, was sie hören wollen und haben daher auch großen Zulauf: Sie sagen, das dauert gar nicht mehr lange, und ihr sitzt wieder zu Hause in der Lapa mit dem Hund auf dem Schoß, vielleicht schon morgen. Es wird alles gut. Gott aber beruft Hesekiel und befiehlt ihm, den Verschleppten zu sagen, dass sehr bald die anderen Bewohner Jerusalems ebenfalls verschleppt werden, dass das mit dem Nachhausekommen und dem Hund auf dem Schoß überhaupt nichts wird, dass sie ihren Hund nie wieder sehen werden, und dass sogar der Tempel Gottes plattgemacht wird. Aber es kommt schlimmer: Gleich bei der Berufung macht Gott Hesekiel klar, wie die Leute auf diese Nachricht reagieren werden. Sie werden ihm nicht glauben. Nicht nur das, sie werden sich über ihn ärgern, ihn angreifen, sie werden ihre Ohren vor seiner Botschaft verschließen.

Was für ein scheinbar verrückter Auftrag! Gott trägt Hesekiel auf, eine Botschaft zu verkündigen, von der er von vornherein weiß, dass sie bei den Leuten nicht ankommen und von den Leuten nicht angenommen wird, dass die Leute ihm nicht nur die kalte Schulter, sondern den ganzen Rücken zukehren werden. Das ist fast so, als würde Gott ihn auffordern, den Hof wieder neu zu eröffnen und ihm zugleich mitteilen, dass er keinen einzigen Kunden haben wird, dass die Leute ihm vor Zorn den Laden einschmeißen werden. Wozu das?

Wozu? Ja, Gott sagt Hesekiel gleich auch den Grund, weshalb er ihn mit seiner Botschaft losschickt zum Haus des Widerspruchs, wie er die Israeliten im Exil nennt. Der Grund, aus dem er ihn mit dieser Botschaft losschickt, auch wenn er weiß, dass Hesekiel damit überhaupt keinen Erfolg haben wird: Dennoch sollen sie wissen, dass ein Prophet unter ihnen ist. Wie denn? Wie könnten die Leute Hesekiel als wahren Propheten unterscheiden von all den vielen falschen Propheten, die den Leuten schmeichelten und das sagten, was sie hören wollten? Nach dem Kriterium, das der Herr in 5. Mose 18 dem Volk schon gelehrt hatte: Wenn eintritt, was ein Prophet sagt, dann ist er ein wahrer Prophet und von Gott gesandt; wenn aber nichts aus dem wird, was der Prophet sagt, dann hat der Herr ihn nicht gesandt und er ist ein falscher Prophet. Schon 10 Jahre später, also, wird ganz deutlich, wen der Herr hier gesandt hat und wen nicht. Und dann wird keiner sagen können: Ich habe es nicht gewusst, mir hat es keiner gesagt. Nein, dann werden sie alle miteinander anerkennen müssen, dass Gott sie gewarnt hatte, dass er ihnen dies alles vorhergesagt hatte durch seinen Propheten, und dass sie es dennoch nicht glauben wollten. Sie wollten lieber den Kuschelpropheten nachlaufen mit dem breiten Grinsen und der Wohlfühlbotschaft, die ihre Marktforschung gründlich betrieben hatten und demgemäß die Massen massierten.

Liebe Gemeinde, was der Herr damals Hesekiel sagte, das bleibt auch für uns als Kirche heute höchst aktuell. Wir sind nämlich in Wirklichkeit kein Hotel und keine Kneipe, die auf Zulauf angewiesen ist. Unsere Existenz als Kirche hängt nicht davon ab, ob die Leute hierher strömen, ob sie das schön finden, was hier geboten wird, ob sie davon begeistert sind, ob unsere Kirche in Massen gefüllt wird oder nicht. Erfolg, Marktforschung und Google Reviews sind keine Kennzeichen der Kirche, nichts, woran man ablesen kann, ob eine Kirche rechte Kirche ist oder nicht. Nein, woran unsere Existenz als Kirche hängt, ist einzig und allein der Auftrag Gottes, den wir haben, sein Wort zu verkündigen. Daher auch das schöne Sprichwort, das Augustin zugeschrieben ist: In der Kirche gilt nicht: So spreche ich, so sprichst du, so spricht der, sondern: So spricht der Herr. Bei all dem Widerstand, den Hesekiel jahrelang ertragen musste, hatte er diesen festen Halt: So spricht Gott der Herr!

Eine Kirche, die nicht mehr sagen kann: So spricht der Herr!, die hat in Wirklichkeit nichts mehr zu sagen. Wen kümmert es, was kirchliche Menschen sagen? Nein, worauf es alles ankommt, ist: So spricht Gott der Herr! Darum schulden wir es diesem Dorf und aller Welt, unsere Marktforschung einzig und allein auf Gott den Herrn zu konzentrieren, uns nur nach ihm und seinem Wort und Auftrag zu richten. Was ist unser Auftrag als Kirche? Unser Auftrag ist, sein Wort, sein Evangelium zu verkündigen, und zwar aller Welt und allen Völkern. Und da haben wir es als Kirche viel besser als der Hesekiel. Der musste seinem Volk erst einmal nur Gottes Gericht ankündigen. Als Kirche haben wir auch den Auftrag, Gottes Gericht anzukündigen, Gottes Gericht, das nicht irgendwelchen anderen Menschen, sondern uns allen bevorsteht, den Tag, an dem Gott einen jeden Menschen fragen wird, ob er zugehört hat, ob er umgekehrt ist von seinem bösen Wege, ob er seine Sünde eingesehen und bekannt hat. Aber wir haben als Kirche eben auch zugleich den Auftrag, den Menschen zu sagen, was, nein, wer uns aus diesem Gericht und in diesem Gericht retten kann: Jesus Christus allein, unser Heiland, der die Sünde der Welt trägt, der die Strafe für deine Schuld auf sich genommen hat.

Wir haben der Welt wirklich gute Nachricht zu bringen! Aber sie beginnt bei der Erkenntnis der Sünde. Wir können nicht damit rechnen, dass die Leute heute offener dafür sind als bei Hesekiel damals. Nein, wir müssen damit rechnen, dass sie diese bittere Medizin nicht schlucken wollen. Es gibt bessere Angebote, meinen sie, bessere Beschäftigungen, bessere Wohlfühlbotschaften. Und wie groß ist dann die Gefahr, in der auch wir als Kirche stehen, dann die Botschaft zu verändern, zu glauben, wir können den Leuten die Kirche irgendwie schmackhafter machen, verlockender machen, einladender machen, wenn wir die Botschaft verschweigen, die wir ihnen eigentlich bringen sollten, wenn wir das Anstößige rauswerfen, das, was nicht in unsere Zeit passt, in unser Empfinden passt, in unsere Kultur passt, wenn wir ein bisschen mehr auf die Marktforschung achten würden. Sagen wir den Leuten das, was sie hören wollen, machen wir aus der Kirche einen Kuschelverein. Dann könnten wir ebenso gut eine Kneipe oder ein Ted Talk sein. Doch genau davor hat Gott auch damals schon Hesekiel gewarnt: Aber du, Menschenkind, höre, was ich dir sage, und widersprich nicht wie das Haus des Widerspruchs. Pass dich nicht an das an, was die anderen sagen und tun und denken und mögen und wollen; rede nur, was ich dir sage! Genau das sagt Gott auch zu uns: Ihr seid keine Kneipe oder Restaurant, das mal kurz das Menü oder das Feng-Shui im Zimmer ändern kann, um mehr Leute zu ziehen.

So mag es denn auch sein, liebe Gemeinde, dass sich unser Erfolg in Grenzen hält. Schön wäre es ja, wenn viele dazukämen, und das gab es ja immer wieder, aber darauf kommt es nicht an. Gott will, dass die Menschen es wenigstens gehört haben, dass niemand sagen kann, ihm hätte niemand gesagt, dass an der Zugehörigkeit zu Jesus alles, aber auch alles hängt, und an erster Stelle das ewige Glück und Geborgensein bei Gott. Bis es so weit kommt, bleibt Gott Herr der Kirche, und er wird sie nicht dichtmachen, solange sie sein Wort weitersagt. Und wer weiß, wie befreiend es ist, mit Jesus zu leben und seine Vergebung zu empfangen, bei Gott für alle Ewigkeit geborgen zu sein, wie wunderbar es ist, dem Leben der Auferstehung entgegenzuschauen, der schaut nicht zurück und schon gar nicht auf die Marktforschung, sondern weiß: Was wir den Menschen zu bezeugen haben, ist und bleibt doch die schönste, die wunderbarste Botschaft der Welt! Amen.

Soli Deo Gloria Pastor Dr. Karl Böhmer


SEXAGESIMAE (Viererlei Ackerfeld)

Wochenspruch
Heute, wenn ihr seine Stimme hören werdet, so verstockt eure Herzen nicht.

Hebräer 3, 15

Epistel

Das Wort Gottes ist lebendig und kräftig und schärfer als jedes zweischneidige Schwert, und dringt durch, bis es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinne des Herzens. Und kein Geschöpf ist vor ihm verborgen, sondern es ist alles bloß und aufgedeckt vor den Augen Gottes, dem wir Rechenschaft geben müssen. Hebräer 4, 12 – 13 Hauptlied Herr, für dein Wort sei hoch gepreist 40 Es wolle Gott uns gnädig sein 245

Evangelium

Als eine große Menge beieinander war und sie aus den Städten zu Jesus eilten, redete er in einem Gleichnis: Es ging ein Sämann aus, zu säen seinen Samen. Und indem er säte, fiel einiges auf den Weg und wurde zertreten, und die Vögel unter dem Himmel fraßen’s auf. Und einiges fiel auf den Fels; und als es aufging, verdorrte es, weil es keine Feuchtigkeit hatte. Und einiges fiel mitten unter die Dornen; und die Dornen gingen mit auf und erstickten’s. Und einiges fiel auf gutes Land; und es ging auf und trug hundertfach Frucht. Als er das sagte, rief er: Wer Ohren hat zu hören, der höre! Es fragten ihn aber seine Jünger, was dies Gleichnis bedeute. Er aber sprach: Euch ist’s gegeben, die Geheimnisse des Reiches Gottes zu verstehen, den andern aber in Gleichnissen, damit sie es nicht sehen, auch wenn sie es sehen, und nicht verstehen, auch.


liturgische Farbe: grün

Festzeit: Vorfastenzeit

Wochenspruch: Hebr 3,15

Wochenpsalm: Ps 119a

Eingangspsalm: Ps 31

Epistel: Hebr 4,12-13

Evangelium: Lk 8,4-8 (9-15)

Predigttext: Mk 4,26-29

Wochenlied: 196 und 280

Erklärung zu den Perikopen:

Die biblischen Predigttexte sind aufgeteilt in die Perikopenreihen I bis VI. Jede Reihe gilt – beginnend mit dem 1. Advent – fortlaufend für ein ganzes Kirchenjahr (aktuelle Reihe = III). Die einzelnen Reihen haben verschiedene Schwerpunkte (Evangelien, Briefe usw.).

I(Evangelium): Lk 8,4-8 (9-15)

II: Hebr 4,12-13

III: Mk 4,26-29

IV: 2. Kor (11,18.23b-30); 12,1-10

V: Jes 55,(6-9) 10-12a

VI: Apg 16,9-15