Joh 18,28–19,5
Raymond Kolbe war als Kind eines armen Webers in Polen geboren. Mit 16 Jahren wurde er Mönch, ging ins Kloster und studierte in Rom. Im Jahre 1919 wurde er als röm.-kath. Priester ordiniert. In den Folgejahren gründete er weitere Klöster in Polen, Japan und Indien. 1936 wurde er wieder nach Polen berufen. Als die Nationalsozialisten kamen, nahmen sie tatsächlich Kolbe und andere Mönche gefangen und schickten sie ins KZ nach Auschwitz. Dort bekamen sie einen Becher Kaffee am Morgen und abends nach der Arbeit ein wenig schwache Suppe und Brot. Sie wurden immer schwächer.
In Auschwitz galt die Regel: wenn einer der Gefangenen entkommen sollte, müssten 10 Männer an seiner Stelle sterben. Eines Nachts fehlte in der Baracke ein Gefangener. Daraufhin wurden alle Gefangenen aus der Baracke nach draußen geführt, und Soldaten suchten 10 Männer aus. „Ihr müsst nun für den Geflohenen geradestehen. Wir schließen euch in den Bunker ein, ihr bekommt nichts zu essen oder zu trinken, bis ihr am Hunger sterbt.“ Einer der Gefangenen namens Gajowniczek schrie laut auf: „Meine arme Frau! Meine armen Kinder! Was werden sie machen?“ Da trat der gefangene Priester Raymond Kolbe hervor, zog die Mütze und sprach zu dem Kommandant: „Ich bin alt. (Er war 47) Er hat eine Frau und Kinder. Lasst mich an seine Stelle treten.“
Der Kommandant willigte ein. Gajowniczek kehrte in die Baracke zurück, und Kolbe trat an seine Stelle und musste mit den anderen in den Bunker. Dort verhungerte einer nach dem anderen, bis schließlich nur noch Kolbe lebte. Soldaten verabreichten ihm dann eine Spritze, sodass er starb. Kolbe hat sein Leben für den Gajowniczek gegeben. Er starb, damit Gajowniczek leben konnte.
Ähnliches passierte dem jüdischen Rebellenanführer Barabbas. Die Bibel bezeugt, dass Barabbas ein berüchtigter Bösewicht war. Im 1. Jahrhundert gab es immer wieder jüdische Gruppen, die versuchten, die verhassten Römer loszuwerden und einen jüdischen Staat zu gründen. Aber unter dem Schein der Politik und des jüdischen Nationalismus verübten sie Mord, Totschlag, Raub und dgl. Solch eine Gruppe hatte gerade vor kurzem in Jerusalem einen Aufstand versucht, und im Zuge des Aufstandes hatte dieser Barabbas jemanden ermordet. Deswegen saß er nun im Gefängnis, er und mehrere andere. Höchstwahrscheinlich hatten die beiden Räuber, die neben Jesus gekreuzigt wurden, auch an dem Aufstand teilgenommen. Wahrscheinlich hätte Barabbas auch mit ihnen gekreuzigt werden sollen. Sein Todestag war gekommen.
Über Barabbas wissen wir nicht viel. Gerade wegen seines Aufstands gegen Rom galt er unter dem Volk Israel als jüdischer Patriot, als bekannter Volksheld. Viele haben sich wohl gefreut, dass Barabbas es gewagt hatte, gegen die Römer aufzustehen und zu kämpfen. Es ist daher gut möglich, dass viele unter dem Volk Barabbas für den langverheißenen Messias hielten. Die Römer aber hielten ihn für einen Kriminellen, einen Volksverhetzer, einen Dieb, einen Räuber, einen Revolutionär. Er war ein Mörder! Und dafür musste er ans Kreuz.
Doch es kommt ganz anders. Ein anderer tritt an seine Stelle. Jesus wird von Pontius Pilatus verhört. Wir wissen, dass die Juden unter den Römern nicht mehr die Todesstrafe verhängen und ausführen konnten. Sonst wäre der Herr Jesus noch in der Gründonnerstagnacht gesteinigt worden, denn die Oberen des Volkes, der Hohepriester und alle Priester und Schriftgelehrten hatten ihn bis in die frühen Morgenstunden verhört und längst schuldig gefunden. Aber sie durften ihn nicht steinigen. Als der Tag anbricht, stehen diese Oberen vor dem Praetorium, dem Palast. Wenn wir heute einen Pass oder ID beantragen, stellen wir uns auch so früh wie möglich vor dem DHA auf. So taten es die Oberen des Volks auch – sie wollten als erster da sein. Kein Jude durfte das Praetorium betreten, denn er wurde dadurch unrein und musste mehrere Tage die Gesellschaft meiden. Aber nun war gerade das Passafest, das dauerte eine ganze Woche, da konnten sie es sich nicht leisten, unrein zu werden. Pilatus kommt den Oberen deswegen entgegen – ganz buchstäblich. Er tritt aus dem Praetorium. Die Oberen selbst wollen nicht durch das Betreten des Praetoriums unrein werden, aber sie haben kein Problem damit, Jesus dort hineinzuschicken. Das bedeutet, dass Jesus an dem Tag als „unreiner“ Jude sterben würde.
Pilatus hört die Anklagen der Oberen und merkt schnell, dass es sich um religiöse Probleme handelt und nicht um Staatsangelegenheiten. Er fordert die Oberen auf: Religiöse Fälle müsst ihr unter euch klären. Richtet ihn nach eurem Gesetz! Nein, schreien sie, wir dürfen ihn nicht töten! Sein Todesurteil stand für die Juden schon fest. Die Römer sollten nur die Drecksarbeit machen. Auf diese Weise aber gehen Jesu Verheißungen in Erfüllung. Der Menschensohn sollte erhöht werden, am Kreuz sterben. Pilatus versucht sein Möglichstes, um Jesus zu retten, weil er keine Schuld findet. Jesus hat nie gegen die römischen Gesetze gehandelt. Er war kein Krimineller. Pilatus geht nach draußen und fällt sein Urteil: Dieser Jesus ist unschuldig! Inzwischen hat sich vor dem Praetorium eine Menschenmenge eingefunden. Einige sind da, weil sie auch etwas von Pilatus brauchten. Die meisten sind da, um zu sehen, wen Pilatus freisprechen würde, denn am Freitag vom Passafest gab es die Sitte, einen Gefangenen freizulassen.
Pilatus steckt nun in der Zwickmühle. Er kann Jesus nicht zum Tode verurteilen, weil das römische Gesetz es verbietet. Er kann Jesus nicht freisprechen, weil die aufgebrachten Oberen das ganze Volk anhetzen würden gegen die Römer – es könnte zu Krieg und Blutvergießen kommen. Pilatus kommt auf eine raffinierte Idee, die ihn aus dem Zugzwang retten könnte. Er stellt die versammelten Juden vor die Wahl: „Ihr kennt den Brauch! Wen soll ich losgeben, Jesus oder Barabbas?“ Pilatus setzt darauf, dass sie Jesus wählen werden, weil Barabbas tatsächlich ein Mörder war. Aber die Agenten der Oberen sticheln die Versammelten auf, nicht Jesus zu wählen, sondern Barabbas.
Die Ironie ist kaum zu fassen. Der Name Barabbas war ein Titel. „Barabbas“ bedeutet buchstäblich „Sohn des Vaters“. Und seinen Vornamen kennen wir auch. Er hatte den gleichen Vornamen wie unser Heiland. Mit vollem Namen hieß er Jesus Barabbas. Und das bedeutet: „Gott rettet – Sohn des Vaters“. Hier geschieht nichts weniger, als dass die versammelten Juden wählen müssen zwischen diesem Jesus und jenem Jesus, zwischen diesem Messias und jenem Messias, zwischen diesem Sohn des Vaters und jenem Sohn des Vaters. Jesus hatte sich immer geweigert, die Juden mit Gewalt und Terroranschlägen in den Krieg gegen Rom zu führen. Sein Reich, wie Jesus es Pilatus bezeugt, sein Reich ist nicht von dieser Welt. Deswegen wollen die Oberen und die Menschenmenge lieber den anderen Messias, den Jesus, dessen Reich von dieser Welt ist, der sie in den Kampf führen wird; Barabbas‘ Reich ist tatsächlich von dieser Welt. Aber Jesus Christus verwerfen sie. Den Sohn des Vaters. Und damit den Vater selbst. Pilatus versucht noch ein Letztes: Er lässt Jesus auspeitschen und ihm dann die lächerliche Spottkleidung eines Möchtegernkönigs anziehen und eine Dornenkrone auf den Kopf setzen. Pilatus hofft, den Blutdurst der Leute durch diesen schandhaften Anblick zu stillen, dass sie merken, dass Jesus eher eine Spottfigur ist und ganz bestimmt keine Bedrohung für sie. Aber als sie ihn sehen, fangen sie erst recht an zu schreien: „Kreuzige! Kreuzige ihn!“
Mittlerweile sitzt Barabbas noch im Gefängnis. Er hört die tosende Menschenmenge, wie sie „Kreuzige“ schreien und denkt, nun ist seine Stunde gekommen. Schon kommen die Soldaten, schon öffnen sie die Zelle, schon nehmen sie ihm die Fesseln ab, und Barabbas befürchtet das Schlimmste – aber die Soldaten lassen ihn gehen. Als freier Mann tritt Barabbas nach draußen – wo der geschundene Heiland steht. Seht den Kontrast! Auf der einen Seite Jesus, Sohn des allmächtigen Vaters, „Gott rettet“, die Rettung Gottes in Person. Auf der anderen Seite Jesus, Sohn des Vaters, der mit Mord und Gewalt Gottes Reich auf dieser Welt einführen und so das Volk retten will. Und nun stellt Pilatus die Frage an euch und an mich. Welchen wollt ihr?
Jesus Barabbas ist schuldig, ein Sünder, und er verkörpert hier die menschliche Vorliebe dafür, die eigenen Interessen zu schützen und sich abzusichern, sogar mit Gewalt, wenn es sein muss. Auch wir verehren Helden, die die Sache endlich in die eigene Hand nehmen und die Feinde mit Gewalt oder List besiegen. Auf der anderen Seite steht der Mann mit der Dornenkrone und dem Purpurmantel des Königs. Es ist leider also doch schon zu Blutvergießen gekommen. Dieser Jesus bietet Begnadigung an, Versöhnung, Vergebung der Sünde, ewiges Leben in seinem ewigen Reich, wo er schon regiert. Welchen der beiden wählst du? Welchen Messias, König, welchen Sohn des Vaters?
Wie Raymond Kolbe ist Jesus Christus an die Stelle von Barabbas getreten. Barabbas, dem Mörder, dem Sünder werden die Ketten abgenommen und der Kerker geöffnet, und sein Todesurteil bekommt Jesus Christus; Barabbas aber kommt frei, wie Gajowniczek damals. Das ist die Erlösung, die Jesus Christus bringt, indem er die Todesstrafe eines anderen auf sich nimmt. Aber nicht nur die von Barabbas. Sondern auch deine und meine. Am Kreuz wird deine Ungerechtigkeit zu seiner Ungerechtigkeit, und seine Gerechtigkeit wird zu deiner Gerechtigkeit. Glaube an ihn, so wirst du selig.
Raymond Kolbe und 9 andere Männer mussten in Auschwitz sterben wegen eines fehlenden Gefangenen. Später stellte es sich heraus, dass der fehlende Gefangene nicht entflohen war. Er war in die Latrine gefallen und dabei ertrunken. So sind Kolbe und die anderen 9 umsonst für einen Unschuldigen gestorben. Jesus Christus aber ist wirkungsvoll für Milliarden schuldiger Sünder gestorben! Ihm wollen wir mit unserem ganzen Leben danken und unter ihm leben in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit.
Soli Deo Gloria
JUDIKA (Der Hohepriester)
Wochenspruch
Der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und gebe sein Leben zu einer Erlösung für viele. Matthäus 20, 28
Epistel
Christus hat in den Tagen seines irdischen Lebens Bitten und Flehen mit lautem Schreien und mit Tränen dem dargebracht, der ihn vom Tod erretten konnte, und er ist auch erhört worden, weil er Gott in Ehren hielt. So hat er, obwohl er Gottes Sohn war, doch an dem, was er litt, Gehorsam gelernt. Und als er vollendet war, ist er für alle, die ihm gehorsam sind, der Urheber des ewigen Heils geworden.
Hebräer 5, 7 – 9
Hauptlied: O Mensch, bewein dein Sünde groß 154
Evangelium
Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, gingen zu Jesus und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden. Er sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue? Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde? Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde; zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist. Und als das die Zehn hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes. Da rief Jesus sie zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an. Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein, und wer unter euch der Erste sein will, der soll aller Knecht sein. Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.
Markus 10, 35 – 45